Der Winterpalast
Geschenke an: Ein besticktes Taschentuch für Madame Tschoglokowa, eine Schachtel Zuckermandeln für die Kinder der Tschoglokows, eine Kiste Wein für den Großfürsten, ein Buch für die Großfürstin.
Ich werde heftig umschmeichelt und glaube kein Wort von all den Komplimenten , schrieb Katharina, aber es kommt doch immerhin Freude und Aufregung in mein Leben.
Sergej errang nur kleine, jedoch keineswegs unbedeutende Siege, die immer tiefere Spuren in Katharinas Briefen hinterließen. Die Tschoglokows luden ihn ein, einen Abend in ihrer Jagdhütte mit ihnen zu verbringen. Da es zu regnen anfing, überredeten sie ihn, über Nacht zu bleiben. Sie drängten Katharina, ihnen Gesellschaft zu leisten, damit sie wenigstens für eine Weile von diesen öden Büchern loskam.
Sie wollte nicht mit ihm im Garten spazieren gehen, und er fragte sie, warum. Doch wohl nicht wegen Madame Saltykowa, die er seit Monaten nicht mehr gesehen hatte? War Katharina vielleicht eifersüchtig? Wieso? Nein, wirklich nicht? Aber warum wurde sie dann rot?
Es folgte ein verwegener Ritt durchs Gelände. Katharina preschte in so wildem Galopp voraus, dass er sein Pferd mit der Gerte antreiben musste, bis es blutete, um sie einzuholen.
Ich hatte es schon vermutet. Allzu viele Zeichen hatten daraufhin gedeutet.
»Was soll ich machen?«, hatte ich Sergej bei einer Soiree zu Igor
sagen hören. »Ich kann mir den Arsch in einem Armeezelt abfrieren oder eine kleine Hausfrau trösten.«
Jemand musste die Kaiserin auf den Gedanken gebracht haben, dass sie mehr als genug Geduld mit dem Großfürsten gehabt hatte. Vielleicht lag es ja an ihm und nicht an Katharina, wenn diese Ehe kinderlos blieb? Wer war dieser Jemand? Der Kanzler, sagte ich mir, denn die Schuwalows konnten schwerlich eine solche Wendung der Dinge wünschen. Konnte es sein, dass Saltykow nun die Ehre zugedacht war, einen Thronerben zu zeugen? Dass Elisabeth höchstselbst ihm diesen Auftrag erteilt hatte?
Nur ein Sohn konnte Katharina retten, dachte ich, koste es, was es wolle.
Die Großfürstin schrieb mir jetzt nicht mehr so häufig, und ihre Briefe waren knapp und vage. Ich möchte so gerne leben , schrieb sie einmal. Ich möchte frei dahinrennen bis zur völligen Erschöpfung.
In einer Kammer neben unserem Schlafzimmer sah ich meinen Mann jeden Morgen ächzend schwere Gewichte stemmen und, die Hände mit wattierten Stoffstreifen bandagiert, auf einen ausgestopften Ledersack einschlagen: Er trainierte für einen jener Faustkämpfe, die in letzter Zeit in Mode gekommen waren.
Eine Aura von Enttäuschung und Frustration umgab Igor wie ein unangenehmer Geruch nach versengten Haaren. »Mist«, murrte er oft, »nichts als Zeitverschwendung.«
Die stille Wut in seinem Inneren machte seine Züge hart und seinen Blick starr. Wie erschöpft er aussah!
Nur mit Schmeichelei kommt man weiter , hörte ich ihn schimpfen, wenn er nachts mit seinen Kameraden Pharo spielte. Harte Arbeit und Leistung zählen nichts. In Russland regieren der Schwindel, die Ausschweifung, die Geldgier. Man kann eine Hofschranze werden, aber was wirklich Bedeutendes kann man nicht schaffen.
Diese träge Gleichgültigkeit überall ist tödlich.
Was Russland braucht, ist ein Krieg.
Solche Reden habe ich im Ohr, dazu das Klirren von Gläsern und die Geräusche des Kartenspiels. Die Worte scheinen in der Luft zu schweben wie der Geruch von billigen Talgkerzen und saurem Atem.
Nationen, die in eitlem Wohlleben versinken, sind wie Vieh, das sich widerstandslos zur Schlachtbank führen lässt … Nationen brauchen Betätigung … eiserner Wille … Krieg ist wie ein Aderlass … unverzichtbar … die einzig rettende Medizin.
Und noch eine Erinnerung aus diesem Frühjahr geht mir nicht aus dem Sinn: Darja, die versucht, ihre Füßchen in Igors Stiefel zu stecken.
»Du willst wohl Soldat werden, wenn du groß bist?«, fragte ich neckend, aber sie blieb ganz ernst.
»Ja«, antwortete sie, »so wie Papa.«
»Aber das geht nicht, Darenka«, sagte ich. »Du wirst eine feine Dame.«
Sie runzelte die Stirn, als brütete sie über einem schwierigen Rätsel.
»Wann?« Sie zupfte an ihrem Kleid. »Morgen?«
»Nein, morgen bist du immer noch ein Kind.«
»Übermorgen?« Ihre Stimme klang so sehnsüchtig wie die russischen Kirchenglocken.
Ich strich ihr übers Haar, das zu Zöpfen geflochten und mit bunten Schleifchen gebunden war. Es war lockig wie meines, aber schwarz wie das von Igor. Ihre ganze Gestalt kam
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