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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Großfürsten mit ihren Schmeicheleien auch noch um das letzte bisschen Verstand, das er besaß, brachten, brauchte Katharina unbedingt Verbündete. Die Garden? Sie sahen den Aufstieg der Schuwalows mit einigem Groll. Iwan Iwanowitsch stolziere wie ein Pfau durch die Korridore, hörte ich sie murren. Seine Hände waren weich und zierlich und konnten kein Pferd zügeln. Aber die Garde war in Sankt Petersburg, nicht in Oranienbaum.
    Nur der Kanzler konnte ihr jetzt helfen – vorausgesetzt, sie war vorsichtig genug, ihm nicht blind zu vertrauen.
    Ich schließe keine Freundschaften nur deswegen, weil ich daraus Nutzen ziehen kann , hatte ich zu ihm gesagt. Aber es gilt
auch: Ich lasse meine Freunde nicht im Stich, wenn sie mich brauchen , dachte ich jetzt.
     
    In dieser Nacht träumte ich von Madame Kluge, der verbannten Kammerfrau.
    Ich sah sie auf einer langen Straße mit vielen Windungen dahingehen, ein schwarzes Tuch über den Schultern.
    Ich ließ den Kutscher anhalten und bot ihr an, mitzufahren: »Steigen Sie ein, ich nehme Sie mit.«
    Sie sah mich traurig an, dann schüttelte sie den Kopf.
    »Ich möchte nicht da hin, wo Sie hinwollen«, sagte sie.
    Ich schloss den Wagenschlag und fuhr weiter in die Dunkelheit, gequält von Fragen, die ich lange von mir weg geschoben hatte. War ich wirklich nur ein unschuldiges Kind gewesen, das irregeführt und missbraucht worden war? Hatte ich nicht willig der Stimme meines Meisters gehorcht? Hatte ich nicht immer und immer wieder sein Fleisch berührt?
    Ich wachte tränenüberströmt auf. Igor wälzte sich im Schlaf und murmelte unverständliches Zeug. Die Laken waren zerknüllt und schweißnass.
    Plötzlich packte mich eine schreckliche Angst, dass Darja sterben würde zur Strafe für meine Sünden. Die Vorstellung war so übermächtig, dass ich es im Bett nicht mehr aushielt. Ich stand auf und beugte mich über das schlafende Kind. Darjas Wangen waren warm, sie atmete ruhig und gleichmäßig.
    Ich kniete neben der Wiege und betete, bis es hell wurde.

Fünf
    1752
    A ls Anfang des Jahres Igor seine Offizierskameraden spät nachts mit zu uns nach Hause brachte, wo sie im Wohnzimmer Pharo spielten, zog ich mich in mein Schlafzimmer zurück. Magere junge Hunde , so nannte ich sie in Gedanken. Sie knurrten und bleckten die Zähne. Flink und stark und rauflustig.
    Ich hörte sie reden. Die Regierung und die Armee sind das Rückgrat des Reichs. Und wer hatte in Russland das Sagen? Bestuschew und sein Protegé Apraxin. Kanzler und Feldmarschall. Zwei alte Säcke, die bei der Jagd kaum ihre Flinten halten konnten, so fett, dass sie nicht mehr ohne Hilfe in den Sattel eines Pferds steigen konnten, die in der Hitze der banja ohnmächtig wurden. Und in ihrem Gefolge die Schuwalows, wie Schweine, die in ihren Abfällen wühlten. Iwan hatten sie bereits ins Bett der Kaiserin geschubst. Jetzt nahmen sie den künftigen Kaiser ins Visier und leckten ihm sabbernd die Füße.
    Die Stimme meines Mannes, der eine Imitation der Lobhudeleien von Gräfin Schuwalowa zum Besten gab, übertönte das Getöse: Niemand ist großherziger oder gütiger als Sie, Hoheit. Ihr Gedächtnis ist wirklich erstaunlich. Das Interesse für militärische Dinge liegt Ihnen im Blut – natürlich, in Ihren Adern fließt ja das Blut der Romanows. Ach, alles wäre so gut, wenn nur ihre deutsche Frau, die keine Kinder bekommen kann, nicht wäre!
    Ich stand auf und ging auf Zehenspitzen in das Zimmer nebenan, wo Darja schlief, seit sie zu groß für die Wiege geworden war.
    An diesem Nachmittag hatte Igor ihr ein paar dicke, glänzende Kastanien vom letzten Herbst mitgebracht, die er aufgehoben
hatte. Jetzt lagen sie neben ihrem Bettchen, in feurige braune Pferde und Soldaten verwandelt, die in die Schlacht zogen, um Russlands Feinde zu vernichten.
    »Was wird da hinter unserem Rücken gespielt?«, fuhr mein Mann fort. Man hörte, dass er nicht mehr ganz nüchtern war. »Manchmal glaube ich, denen im Palast ist die Zukunft Russlands ganz egal.«
    Darja bewegte sich im Schlaf. Ich zog den Vorhang beiseite und drückte meine Stirn gegen die kalte Fensterscheibe. Mein Atem ließ das Glas beschlagen. Draußen in der Apothekergasse fiel Schnee.
    Ich empfinde Reue, wenn ich daran zurückdenke. Ich hätte die Bitterkeit, die aus seiner Stimme klang, ernst nehmen müssen.
     
    Eben erst hatte meine Tochter ihre ersten wackeligen Schritte gemacht, hatte sich an meiner Hand oder an meinem Rock festgehalten, um nicht umzufallen,

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