Der Winterschmied
Dritten Gedanken.
»Ich... nun, wenn man an nichts Bestimmtes denkt, fällt einem alles Mögliche ein, nicht wahr?«, erwiderte Tiffany.
»Denken ist das eigentlich nicht. Die anderen Jungen, denen ich begegnet bin, starren jedenfalls nur auf ihre blöden Füße! Petulia meint, es liegt am Hut.«
»Es hilft, ihn abzunehmen«, sagte Nanny Ogg. »Und als ich jung war, galt das auch für ein knappes Mieder. Daraufhin haben die Jungen nicht mehr auf ihre Füße gestarrt, das versichere ich dir!«
Tiffany merkte, wie die dunklen Augen sie fixierten. Sie musste lachen. In Frau Oggs Gesicht erschien ein breites Grinsen, das eigentlich hinter Schloss und Riegel gehörte, um den öffentlichen Anstand zu wahren. Aus irgendeinem Grund fühlte sich Tiffany viel besser. Sie hatte eine Art Prüfung bestanden.
»Ich fürchte jedoch, beim Winterschmied klappt das nicht«, sagte Nanny, und damit kehrte die düstere Stimmung zurück.
»Die Schneeflocken gingen ja noch«, sagte Tiffany. »Aber der Eisberg... Ich finde, das war ein bisschen viel.« »Alles Angeberei...« Nanny paffte an ihrer Pfeife. »Ja, so was machen sie bei Mädchen.«
»Aber er kann Menschen töten!«
»Er ist der Winter. Und der Winter tötet manchmal. Aber ich schätze, derzeit ist er ziemlich durcheinander, weil er sich noch nie in einen Menschen verliebt hat.«
»Verliebt?«
»Nun, das glaubt er vermutlich.«
Wieder fühlte Tiffany einen sehr aufmerksamen Blick auf sich ruhen.
»Er ist eine elementare Kraft, und solche Kräfte sind eigentlich recht einfach gestrickt«, fuhr Nanny Ogg fort. »Aber er versucht, ein Mensch zu sein. Und das ist kompliziert. Wir stecken voller Dinge, die er nicht versteht, die er gar nicht verstehen kann. Zorn, zum Beispiel. Ein Schneesturm ist nicht zornig. Er hasst die Menschen nicht, die in ihm umkommen. Der Wind ist nie grausam. Aber je mehr der Winterschmied an dich denkt, desto mehr bekommt er es mit solchen Gefühlen zu tun, und es gibt niemanden, der sie ihm erklärt. Er ist nicht sehr klug. Das brauchte er nie zu sein. Und das Interessante ist, dass du dich ebenfalls veränderst...«
Es klopfte an die Tür. Nanny Ogg stand auf und öffnete. Oma Wetterwachs stand davor, und Fräulein Tick schaute ihr über die Schulter.
»Gesegnet sei dieses Haus«, sagte Oma, doch etwas in ihrer Stimme deutete darauf hin, dass sie den Segen notfalls auch wieder zurücknehmen konnte.
»So wird's wohl sein«, sagte Nanny Ogg.
»Es ist also Ped Fecundis?« Oma deutete mit einem Kopfnicken auf Tiffany.
»Sieht nach einem schlimmen Fall aus. Die Dielenbretter begannen zu wachsen, als sie mit bloßen Füßen über sie hinwegging.«
»Ha! Hast du ihr irgendetwas dagegen gegeben?«, fragte Oma.
»Ich habe ihr ein Paar Pantoffeln verordnet.«
»Ich verstehe nicht, wie es im Zusammenhang mit elementaren Kräften zu Avatarisierung kommen kann, das ergibt keinen...«, begann Fräulein Tick.
»Hör auf zu faseln, Fräulein Tick«, sagte Oma Wetterwachs. »Ich stelle fest, dass du anfängst zu faseln, wenn etwas schief läuft, und das hilft uns nicht weiter.«
»Ich möchte nur das Kind nicht beunruhigen«, sagte Fräulein Tick. Sie nahm Tiffanys Hand und tätschelte sie. »Mach dir keine Sorgen, Tiffany, wir...
»Sie ist eine Hexe«, sagte Oma streng. »Wir müssen ihr die Wahrheit sagen.« »Glaubt ihr, dass ich mich in eine... eine Göttin verwandle?«, fragte Tiffany.
Der Anblick ihrer Gesichter entschädigte sie für vieles. Der einzige Mund, der kein O bildete, gehörte Oma Wetterwachs - sie schmunzelte wie jemand, dessen Hund gerade ein ziemlich gutes Kunststück vollbracht hatte. »Wie hast du das herausgefunden?«, fragte sie.
Es war eine Vermutung von Professor Hetzig: Avatar, ein fleischgewordener Gott. Aber das verrate ich euch nicht, dachte Tiffany. »Stimmt es denn?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Oma Wetterwachs. »Der Winterschmied hält dich für... oh, sie hat viele Namen. Die Dame mit den Blumen ist zum Beispiel ein hübscher. Oder die Sommerfrau. Sie macht den Sommer, so wie er den Winter macht. Er glaubt, du bist sie.«
»Na schön«, sagte Tiffany. »Aber wir wissen, dass er sich irrt, nicht wahr?«
»Äh... er irrt sich nicht so sehr, wie wir es gern hätten«, sagte Fräulein Tick.
Die meisten Größten hatten ihr Lager in Nanny Oggs Scheune aufgeschlagen, und dort hielten sie Kriegsrat. Allerdings ging es dabei nicht unbedingt um Krieg.
»Was wir hier ham«, verkündete Rob Irgendwer, »is' ein Fall
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