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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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Manche dieser Fälle schienen einen Krankheitshintergrund zu haben wie bei Janet McLeod. Das wohl am besten dokumentierte Beispiel des zwanzigsten Jahrhunderts bietet die Oberpfälzer Mystikerin Therese Neumann ( 1898 –1962 ), besser bekannt als Therese oder Resl von Konnersreuth. Ab 1926 nahm sie keine feste Nahrung mehr zu sich. An Freitagen hatte sie Visionen der Passion Christi und blutete (wie es von anderen katholischen Mystikern bekannt war) aus Stigmata an Händen und Füßen. Ihr Dauerfasten und die Stigmata erregten viel öffentliches Interesse, und der Bischof von Regensburg setzte eine von einem Arzt geleitete Kommission ein, die den Fall untersuchen sollte. Zwei Wochen lang wurde Therese von vier Pflegeschwestern genau überwacht. Diese vier wechselten sich paarweise ab, so dass Therese nie unbeobachtet war. Der Bericht fiel so aus, dass man bei unvoreingenommener Betrachtung nur annehmen konnte, Therese habe in diesen vierzehn Tagen wirklich nichts gegessen. Noch erstaunlicher war, dass der deutliche Gewichtsverlust durch die freitäglichen Blutungen innerhalb der nächsten drei oder vier Tage ausgeglichen wurde. [155]
    Aber auch Thurston musste erkennen, dass keine noch so klare Indizienlage die eingefleischten Skeptiker überzeugen würde, die Therese als »ordinäre Schwindlerin« bezeichneten. Jedenfalls kam er nach der Betrachtung zahlreicher religiöser und nichtreligiöser Fälle zu diesem Schluss:

    Wir sind gezwungen zu bestätigen, dass etliche Menschen, bei denen keine höhere Intervention angenommen werden kann, über Jahre von allerkleinsten Nahrungsmengen – nur in Gramm zu messen – gelebt haben. Und die Beweislage wird uns zwingen einzuräumen, dass Papst Benedict XIV . recht hatte, wenn er sagte, das bloße Weiterleben auch ohne Nahrungs- und Getränkeaufnahme lasse noch keinen sicheren Schluss auf übernatürliche Ursachen zu. [156]

    Wenn ein Papst und ein bedeutender jesuitischer Gelehrter lieber eine natürliche als eine übernatürliche Erklärung annehmen, worin könnte sie dann wohl bestehen? Das werden wir sicher nicht herausfinden, wenn wir eine Position dogmatischer Skepsis einnehmen und so tun, als gäbe es das Phänomen nicht.
    Wir könnten mit unseren Forschungen bei der Frage ansetzen, wo sonst in der Welt es dieses Phänomen des Überlebens ohne Nahrungsaufnahme noch gibt – weshalb sollte es nur in Indien und im Westen auftreten? Und wenn wir es anderswo finden, sind dann häufiger Frauen als Männer betroffen, wie es in Europa der Fall zu sein scheint?
    Gibt es Parallelen zur Physiologie des Winterschlafs bei Tieren?
    In welcher Beziehung steht die völlige Nahrungsabstinenz zu dem, was wir »Kalorienrestriktion« nennen, das heißt zur Einschränkung der Nahrungsaufnahme zum Zweck der Gesundheitsförderung und Lebensverlängerung?
    Solche Fragen könnten den Horizont der Ernährungswissenschaft, die ja von wachsender praktischer Bedeutung ist, erheblich erweitern. Ungefähr eine Milliarde Menschen werden als unterernährt eingestuft, während mehr als eine Milliarde übergewichtig sind. Ernährungsformen und Diäten gibt es in großer Zahl, aber keinen klaren wissenschaftlichen Konsens zu der Frage, was am besten funktioniert.
    Wenn man die völlige Nahrungsabstinenz als legitimen Gegenstand der Wissenschaft akzeptierte, anstatt sie einfach zu ignorieren, wäre vielleicht etwas Wichtiges zu lernen. Und wenn wir die Erhaltungssätze der Materie und Energie nicht als unumstößliche Wahrheiten, sondern als überprüfbare Hypothesen betrachteten, würde das die Physiologie und Ernährungswissenschaft eher wissenschaftlicher als weniger wissenschaftlich machen.
    Manch einer wird mit großer Überzeugung vorhersagen, dass man alle Fälle von völliger Nahrungsenthaltung irgendwann als Schwindel entlarven oder irgendeine andere ganz normale Erklärung finden wird. Vielleicht haben sie sogar recht. Sollten sie recht behalten, wird die bisherige Sicht der Dinge durch neue Indizien untermauert. Aber sollten sie sich irren, werden wir etwas Neues lernen, das Fragen aufwerfen wird, die über die Biowissenschaften hinausgehen. Gibt es Formen der Energie, die wissenschaftlich noch nicht erkannt sind? Oder kann es sein, dass die Energie des Nullpunktsfeldes, eine wissenschaftlich erfasste Energie, von Lebewesen genutzt wird?

Was könnte daraus folgen?
    Die Vorstellung, dass Materie passiv ist und Energie oder Kraft das aktive Prinzip darstellt, gehört zum Grundbestand der

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