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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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evolutionären Universum noch sinnvoll? Waren die Naturgesetze im Augenblick des Urknalls schon vorhanden – als eine Art kosmischer Code Napoleon? Wenn alles in Evolution begriffen ist, warum entwickeln sich die Gesetze der Natur dann nicht mit der Natur?
    Sobald wir die ewigen Gesetze einmal in Frage stellen, werden sie tatsächlich fragwürdig, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist schon der Begriff »Naturgesetz« anthropozentrisch. Nur Menschen kennen Gesetze. Für die Väter der modernen Naturwissenschaft war die Gesetzesmetapher durchaus angemessen, denn sie dachten sich Gott als eine Art universalen Herrscher, dessen Anweisungen überall galten und dessen Allmacht eine Art kosmische Ordnungsinstanz darstellte. Die Gesetze der Natur waren ewige Ideen im Geist eines mathematischen Gottes. Aber für Materialisten gibt es keinen Gott und keinen transzendenten Geist, in dem die Gesetze verankert sein könnten. Wo aber sind sie dann? Und warum sind sie nach wie vor mit den traditionellen Eigenschaften Gottes ausgestattet? Warum sind sie allgültig, unwandelbar und allmächtig, warum sind sie unabhängig von Raum und Zeit gültig?
    Manche Wissenschaftsphilosophen umgehen solche unangenehmen Fragen und sagen, die Gesetze der Naturwissenschaft seien gar nicht transzendent, sondern lediglich Verallgemeinerungen, die aus beobachtbarem Verhalten abgeleitet wurden. Das freilich kommt dem Eingeständnis gleich, dass Naturgesetze wie die Natur selbst der Entwicklung unterliegen und vielleicht gar nicht für immer und ewig feststehen. In einem evolutionären Universum, in dem sich die Natur entwickelt, müssen sich auch die Verallgemeinerungen entwickeln, mit denen diese Natur beschrieben wird. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, die für Moleküle, Pflanzen und Gehirne zuständigen Naturgesetze habe es bereits im Augenblick des Urknalls, also lange vor der Existenz dieser Dinge, gegeben.
    Auch wenn manche Philosophen so argumentieren, im Denken der meisten Naturwissenschaftler bleibt die Idee der ewigen Gesetze tief verankert. Sie sind sogar die stillschweigende Grundannahme der wissenschaftlichen Methode selbst. Jedes Experiment muss im Prinzip überall und jederzeit wiederholbar sein und zu denselben Beobachtungen führen. Weshalb? Weil die Naturgesetze immer und überall gleich sind.
    Ich möchte in diesem Kapitel über evolvierende Gewohnheiten als Alternative zu den ewigen Gesetzen sprechen. Die Regelhaftigkeit in der Natur muss nicht auf einer ewigen, geistähnlichen Sphäre jenseits von Raum und Zeit beruhen, sondern kann auch Ausdruck eines der Natur innewohnenden Gedächtnisses sein.
    Doch der Glaube an ewige Gesetze ist als solcher eine tief eingefleischte Gewohnheit und zudem vielfach unbewusst. Um eine Denkgewohnheit zu ändern, muss man erst einmal auf sie aufmerksam werden. Und diese Gewohnheit besteht schon sehr lange.

Evolutionäre Gewohnheiten
    Die Alternative zum Platonismus besteht in der Annahme, dass die Regelhaftigkeit der Natur durch
Evolution
entsteht. Die »Gesetze« wären dann eher so etwas wie Gewohnheiten, die durch Wiederholung stärker werden. Das heißt, der Natur wohnt eine Art Gedächtnis inne: Was jetzt geschieht, ist durch das bedingt, was vorher geschah.
    Manche Gewohnheiten sind sehr tief eingeprägt und vor Jahrmilliarden entstanden, etwa die Gewohnheiten der Photonen, Protonen und Elektronen, die schon lange bestanden, als sich rund 370 Millionen Jahre nach dem Urknall die ersten Wasserstoffatome bildeten. Diese ersten Atome gaben bei ihrer Entstehung die Strahlen ab, die wir jetzt als kosmische Hintergrundstrahlung beobachten. [191] Dann erschienen im Laufe weiterer Jahrmilliarden Moleküle, Sterne, Galaxien, Planeten, Kristalle, Pflanzen und schließlich die Menschheit. Alles hat im Laufe der Zeit einen Evolutionsprozess durchgemacht, selbst die chemischen Elemente. An irgendeinem Punkt in der Geschichte des Universums erschienen die ersten Kohlenstoffatome oder Jodatome oder Goldatome.
    Die mit den atomaren Gewohnheiten assoziierten »Konstanten«, etwa die Feinstrukturkonstante oder die Elektronenladung, sind ebenfalls sehr alt. Das älteste Molekül dürfte das Wasserstoffmolekül H 2 sein. Es geht der Bildung der Sterne voraus und kommt sehr reichlich in galaktischen Wolken vor, in denen sich neue Sterne bilden. Die für diese archaischen Muster gültigen »Gesetze« und »Konstanten« sind offenbar so gefestigt, dass sie heute unveränderlich oder nahezu unveränderlich

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