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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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ihr Verhalten idiotisch wirken musste, hatte sie sich besser gefühlt, als sie wieder einstieg.
    Dann hatte sie ihre Scheibe heruntergekurbelt, um anhand der gedämpft herüberklingenden Jubelrufe den Verlauf des Spiels zu verfolgen. Als sie den Signalton hörte, der das Ende anzeigte, hatte sie nur noch ein paar Minuten warten müssen.
    Als Erstes drängten Schüler durch die Tür. Sie hörte ihr unbeschwertes Lachen, als sie sich in der abendlichen Dunkelheit zerstreuten. Wenig später folgte ein gleichmäßigerer Menschenstrom aus Jugendlichen, Erwachsenen und sogar ein paar Kleinkindern.
    Das war für sie das Zeichen, sich auf den Weg zu machen.
    Wie ein Fisch, der gegen den Strom schwimmt, senkte sie den Kopf und schlängelte sich durch die Menge. Während alle ins Freie strebten, war sie die einzige Person, die sich in die Halle kämpfte.
    Das war ihr ganzer Plan. Falls der Wolf sie verfolgte, würde er genauso für Unruhe sorgen wie sie selbst und nicht unbemerkt bleiben. Immer wieder warf sie einen verstohlenen Blick über die Schulter, um festzustellen, ob ihr jemand durch die Menschenknäuel folgte.
    Offenbar nicht.
    Karen steuerte dieselbe Treppe an, die Sarah kurz zuvor hinuntergegangen war und auf der zwar ein paar Schüler in beide Richtungen liefen, aber kein Wolf.
    Sie fand die Damentoilette ebenso schnell wie Sarah. Genau wie Rote Zwei sah sie nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass sie allein war. Dann huschte sie hinein.
    Ein, zwei Sekunden lang herrschte Stille, bevor sie laut flüsterte: »Sarah?«
    »Hier«, kam die Antwort aus der Kabine.
    Sarah öffnete die Tür, und die beiden Frauen begrüßten sich mit einer verlegenen Umarmung.
    Karen trat zurück, musterte die falsche Schwangerschaft sowie die schwarze Kurzhaarperücke und schmunzelte.
    »Du musst ja …«, sagte Karen bei dem Gedanken an die Pfotenabdrücke auf dem Grabstein, doch dann wusste sie nicht weiter. Erschrocken? Verstört? In Panik gewesen sein?
    »Ich bin völlig ausgerastet«, antwortete Sarah grimmig, auch wenn ihre Wortwahl lässig war. »Als ich dich angerufen habe, war ich in Panik. Aber ich hab mich wieder im Griff. So halbwegs. Und du?«
    Karen wollte beschreiben, wie sie auf der Bühne gestanden und plötzlich dieses Jaulen gehört hatte, das nach einem Wolf klang – das nach
dem
Wolf klang, doch sie überlegte es sich anders. Es war wenig hilfreich, Sarahs ohnehin labilen Gemütszustand noch mehr zu belasten. Du musst stark sein, befahl sie sich, eine Haltung, die teils dem Drill als Ärztin geschuldet war, teils dem Bewusstsein, dass ihr nichts anderes übrigblieb.
    »Hast du die Zeit im Auge behalten?«, fragte sie.
    Sarah nickte. »Fünfzehn Minuten, ziemlich genau.«
    »Gut, dann mal los.«
    Die beiden Frauen traten aus der Damentoilette in den Flur. Sie waren allein, doch wie zuvor hörten sie aus nicht allzu weiter Entfernung die lauten Stimmen junger Mädchen.
    »Hier lang und dann rechts, hat Jordan gesagt«, erklärte Sarah.
    Sie warteten noch einen Moment und blickten sich ein paar Mal um. Schon merkwürdig, musste Karen denken, wie es ihnen allen zur zweiten Natur geworden war, permanent nachzuschauen, ob ihnen auch niemand folgte. Die Vorstellung, in diesem hell erleuchteten Korridor allein zu sein, war nicht eben beruhigend.
    Sie erreichten den Umkleideraum der Mädchen so, wie Jordan es ihnen beschrieben hatte. Vor der Tür standen zwei Mädchen und plauderten mit zwei Jungen. Die Mädchen, die Sarah vom Spiel wiedererkannte, hatten feuchtes Haar und ein rotes Gesicht. Sie traten zur Seite, als die beiden Frauen an ihnen vorbei in die Umkleide strebten.
    Dort schlug ihnen ein Schwall warmer, feuchter Luft entgegen. Aus den Duschkabinen war prasselndes, spritzendes Wasser zu hören, und von den weiß gefliesten Wänden hallte lautes Gelächter wider.
    »Geht doch nichts über ein gewonnenes Spiel«, sagte Sarah. »Darüber verschwinden andere Probleme.«
    »Schön wär’s«, sagte Jordan, und die beiden anderen Frauen zuckten zusammen.
    »Jedenfalls nicht
unser
Problem«, fügte Jordan leise hinzu und schüttelte den Kopf.
    Sie war noch nicht fertig angezogen und trug nur ein knappes weißes T-Shirt zu einem schwarzen Slip. Sie hatte eine Haarbürste in der Hand und wie die anderen Mädchen vom Duschen noch feuchtes Haar. Beide ältere Frauen überkam angesichts der durchtrainierten Figur des jungen Mädchens ein Anflug von Neid. Muskeln, flacher Bauch, schmale Hüften und lange Beine,

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