Der Wolf aus den Highlands
die Tode meiner Männer aufgezeichnet sind. Es waren keine leichten Tode, und nur wenige Männer konnten flüchten. MacKay wollte alle, die mir die Treue hielten, beseitigen, und vorher hat er noch versucht, aus ihnen herauszubekommen, wo ich mich versteckt hielt. Ich hatte gedacht, wenn ich getarnt nach Dunncraig zurückkehre, könne ich diejenigen aufspüren, die über mich die Lügen verbreitet haben, und vielleicht auch Marys wahren Mörder finden.«
»Du glaubst also, sie ist wirklich ermordet worden, und es war nicht nur ein tragischer Unfall?«
»Jawohl.«
Annora richtete sich auf. Endlich stellte sie eine der Fragen, die sie schon lange beschäftigten. »Bist du dir ganz sicher, dass es Mary war, die im Feuer umgekommen ist?«
James starrte sie lange stumm an, bis er die Kraft fand, ihr zu antworten. »Wer hätte es denn sonst sein sollen?«
»Ich weiß nicht. Ich habe nur gehört, dass das Feuer von ihr nicht mehr viel übrig ließ. Wie sollte jemand, der die Leiche gesehen hat, sicher sein, dass es deine Frau war?«
»Diese Sicherheit hatte niemand, aber auf ihrem Finger steckte der Ring, den ich ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, und auch von dem Gewand, das sie an ihrem Todestag trug, waren noch ein paar Fetzen übrig. Außerdem haben mehrere Leute ausgesagt, dass sie gesehen hätten, wie sie zu diesem Cottage ging.«
Annoras Fragen hatten in James einige sehr verstörende Gedanken geweckt. Er stand auf und begann, unruhig auf und ab zu laufen. Dass es womöglich gar nicht Mary gewesen war, die damals gestorben war – darüber hatte er nie nachdenken wollen. Denn das hätte bedeutet, dass sie MacKay geholfen hatte, ihn zu zerstören – und auch darüber hatte er nie nachdenken wollen. Das letzte Mal, als ihm derartige Gedanken durch seinen Kopf gezuckt waren, hatte er sich vorgenommen, auf der Suche nach der Wahrheit jeden Stein umzudrehen. Aber er war seinem Vorsatz nicht treu geblieben. Noch jetzt wollte er es nicht glauben, aber er wusste, es wäre töricht, die Möglichkeit völlig außer Acht zu lassen, dass seine süße, schüchterne Gemahlin in Wirklichkeit ganz anders und MacKays Verbündete gewesen war. Er musste endlich aufhören, dem auszuweichen, was womöglich die schreckliche Wahrheit war.
»Flüchtig erwog ich, dass sie es vielleicht gar nicht gewesen ist. Ich nahm mir sogar vor, diese Möglichkeit genauer zu überdenken, aber dann habe ich es doch nie getan, Narr, der ich bin.«
»Du solltest dir deshalb keine Vorwürfe machen. Keiner würde die Möglichkeit in Betracht ziehen wollen, von seiner Gemahlin oder auch dem Ehemann so grausam hintergangen worden zu sein.«
»Das mag schon sein. Aber das bedeutet, dass ich einiges außer Acht gelassen habe, was mich womöglich direkt zur Wahrheit geführt hätte. Ich kann es mir nicht leisten, Angst vor dem zu haben, was ich vielleicht herausfinde. Dunncraig und das Wohl seiner Leute hängen davon ab, dass ich MacKays Herrschaft hier beende.«
Annora nickte. Mitleid mit ihm stieg in ihr auf, doch damit würde er jetzt wohl nicht besonders viel anfangen können. »Meggie hat mir einmal erzählt …«
»Dass sie gesehen hat, wie MacKay ihre Mutter küsste?«
»Aye. Sie hat es dir auch erzählt?« Plötzlich erinnerte sie sich an den flüchtigen Blick von Schuld, der über Meggies Gesicht gehuscht war, als sie berichtet hatte, dass sie mit dem Holzschnitzer gesprochen habe. Annora runzelte die Stirn. Vielleicht hätten sie doch eingehender darüber sprechen sollen?
»Aye, aber sie war ja erst zwei, als ihre Mutter starb. Wie soll sie sich an so etwas erinnern können?«
Einen Moment lang grübelte Annora darüber nach, dann weiteten sich ihre Augen überrascht. »Vielleicht war es ja gar nicht so lange her.«
»Wie meinst du das?«
»Was ist, wenn es nicht Mary war, die in jenem Cottage verbrannte? Das hieße doch, dass sie noch am Leben war, als du des Mordes an ihr beschuldigt worden bist, und sogar dann noch, als du alles verloren hattest und um dein Leben rennen musstest.«
»Und das hieße, dass sie mit deinem Cousin verbündet war.«
Die Wut in seiner Stimme ließ Annora zusammenzucken, aber sie ließ sich davon nicht abschrecken. »Das mag schon sein, aber vielleicht hat er sie ja auch irgendwo gefangen gehalten. Jedenfalls könnte es sein, dass Meggie zufällig ein Treffen zwischen Mary und Donnell mitbekommen hat, als sie alt genug war, sich an so etwas zu erinnern, und dass sich die beiden bei dieser Gelegenheit
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