Der Wolf
unter dem Mükkennetz als Gast der US-Regierung in einem Bett schlief.
Am nächsten Tag begleitete ich Dave auf seinem üblichen Kontrollflug. Er befestigte zwei Antennen an den Flügelverstrebungen einer Cessna 182, so daß die Peilrichtung
der Antennen bei neunzig Grad zur Flugzeuglängsachse
schräg nach unten zeigte. Dann ging es los. In der Luft
über dem weiten, fast menschenleeren Wald- und Seengebiet erklärte er mir die Technik : Wölfe wurden fast das
ganze Jahr mit Schlageisen gefangen und dann mit Radiosendern versehen. Jedes Halsband sendet auf einer anderen Frequenz, wodurch eine Unterscheidung der einzelnen
Tiere möglich ist. Zur Zeit hatte er neun Wölfe und einen
Luchs unter Kontrolle. Am Empfänger im Flugzeug war ein
Schalter, mit dem er auf die linke oder die rechte Antenne
umschalten konnte. Sehr bald hörten wir auch das erste
Signal: von einem Rüden, dem Alpha-Wolf seines Rudels.
Dave gab dem Piloten Zeichen, wie er fliegen sollte. Selber hörte er die einzuhaltende Richtung durch Umschalten auf die beiden Antennen heraus. War das Signal zum
Beispiel auf der linken Seite lauter als rechts, so mußten
wir mehr links halten. Das Signal wurde immer lauter und
dann plötzlich wieder leiser – wir waren über den Wolf
hinweggeflogen. Der Pilot zog das Flugzeug in einer steilen Kurve nach unten, und nun fing knapp über den Baumwipfeln das Suchen an. Immer enger wurden die Kreise,
bis wir schließlich auf einem sonnenbeschienenen Felsen,
der sich etwas über die Bäume erhob, vier eng beieinander
schlafende Wölfe sahen, das Rudel des markierten Rüden.
Sie ließen sich durch das Flugzeug überhaupt nicht stören,
hoben nicht einmal die Köpfe. Offensichtlich hatten sie sich
an Flugzeuge gewöhnt. Ich war so fasziniert, daß ich ganz
vergaß, daß mir eigentlich hätte schlecht werden müssen
von dem ständigen Kreisen.
Dann suchten wir nach den anderen Wölfen. Zuerst verfolgten wir eine Wölfin, die an diesem Morgen ungewöhnlich weit in ein Nachbarterritorium eingedrungen war. Dave
erklärte sich dieses Verhalten, das er früher nicht beobachtet hatte, das jetzt aber immer häufiger auftrat, mit dem
Rückgang der Hirschpopulation im Untersuchungsgebiet.
Die großen Kahlschläge, die vor zehn bis zwanzig Jahren im
Wald gehauen worden waren und besonders gute Äsungsplätze für das Wild boten, wuchsen allmählich wieder zu.
Die Folge war ein langsamer Rückgang der Hirsche und als
Folge davon auch eine mit leichter Verzögerung einsetzende
Abnahme der Wolfspopulation. Zuerst wurden die Rudel
kleiner, bedingt sowohl durch eine erhöhte Welpensterblichkeit als auch durch Emigration aus den Rudeln. Gleichzeitig erfolgte verstärktes Überwechseln in die Territorien
der benachbarten Rudel. Meistens kehrten die Eindringlinge jedoch bald zurück in ihr eigenes Gebiet, ohne daß
es zu einer Konfrontation mit den Revierinhabern gekommen war. Nur zweimal hatte Dave bis jetzt die Begegnungen zweier Rudel beobachtet, bei denen einmal ein Wolf
getötet und ein anderes Mal einer verletzt wurde.
Wir mußten das ins fremde Territorium eingedrungene
Weibchen lange suchen. Mindestens zwanzig Minuten flogen wir in immer engeren Kreisen ganz tief über dem Wald,
sahen aber nichts. Als wir schon aufgegeben hatten und weiterflogen, entdeckten wir die Wölfin plötzlich doch unter
uns, wie sie einen breiten Fluß, die Grenze zu ihrem eigenen Territorium, durchschwamm. Vermutlich war sie durch
das Flugzeug im fremden Gebiet beunruhigt worden und
floh jetzt in die Sicherheit zurück.
Warum versuchen die Wölfe bei zunehmender Nahrungsknappheit nicht, ihr Territorium auf Kosten der Nachbarrudel zu vergrößern, statt nur ab und zu in fremde Territorien einzudringen, ansonsten aber mit einem kleineren
Rudel im eigenen Gebiet zu bleiben ? Auf der Suche nach
dem nächsten Wolf, einem jungen Rüden, diskutierten wir
über mögliche Erklärungen. Am triftigsten erschien uns die
erhöhte Verletzungsgefahr bei dem Versuch, Nachbarrudel
zu vertreiben. Schon eine leichte Verletzung kann tödliche
Folgen haben. Für die Überlebensstrategie eines Wolfes
scheint es vorteilhafter zu sein, die territoriale Organisation
weitgehend zu respektieren, das vorhandene Nahrungsangebot nach Möglichkeit rationeller auszunutzen und wenn
nötig andere Rudelmitglieder zu zwingen, das eigene Rudel
samt Territorium zu verlassen, als Energie und womöglich das eigene Leben in einem »Krieg um Lebensraum«
einzusetzen. Erst bei
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