Der Wolf
Mittelalter und in
der beginnenden Neuzeit, die wir ausgerechnet Renaissance
nennen, womit die Wiedergeburt der antiken Rationalität
gemeint ist. In blutigen Orgien des Wahnsinns und der
Hexerei sollen unter dem Einfluß von Drogen und Beschwörungsriten vor allem Kinder und Frauen Opfer von Werwölfen geworden sein, Männern, die sich wie Wölfe fühlten
und aufführten. Nach einigen Berichten kam es zeitweilig
zu einem regelrechten Massenwahn der Bestialität. Daher
nahm sich die Inquisition der Sache an. Der im Jahr 1489
erschienene »Hexenhammer« galt als Anleitung, Hexen und
Werwölfe zu erkennen. »Wie etwa«, so wurde darin gefragt,
»stellen es die Hexen an, Menschen in Tiere zu verwandeln?« Und weiter : »Die Frage, ob es wirkliche Wölfe sind
oder Teufel in Wolfsgestalt, ist nur so zu beantworten, daß
es sich um wirkliche Wölfe handelt, die jedoch vom Teufel besessen sind […] womit Gott ein Volk für seine Sünden straft; heißt es doch im Leviticus : Ich werde die wilden Tiere auf euch hetzen, damit sie eure Kinder rauben
und euer Volk zerreißen sollen.«
Die Folgen waren furchtbar. Unzählige Menschen mußten als vermeintliche Werwölfe in den Folterkammern der
Inquisition leiden und anschließend, nach erzwungenem
Geständnis, qualvoll auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Allein in den Jahren 1598 bis 1600 verurteilte ein Richter
namens Boguet im französischen Jura sechshundert angebliche Werwölfe zum reinigenden Tod im Feuer. Das geringste Vergehen war dafür Anlaß genug. Wer aus einer Familie mit sieben Kindern stammte, galt als verdächtig, wer
von »erotischer Melancholie« befallen war, auffällig einen
Wolfspelz trug oder sich nur mit einer Salbe aus Wolfsfett
oder Tollkirschen einrieb, mußte bald um sein Leben bangen, erst recht natürlich jeder, der es am nötigen Respekt
vor der Kirche und ihren Gesetzen fehlen leß. Ebenso wie
beim gleichzeitigen Hexenwahn standen der Denunziation
Tür und Tor offen. In der Stadt Dole im Jura erließen die
Justizbehörden sogar einen Aufruf zur Selbstjustiz, die sämtliche Bürger dazu verpflichtete, »mit Piken und Hellbarden
sich zu versammeln, um den Werwolf zu jagen und zu verfolgen, wo immer sie ihn finden können, und sollen ihn fangen, töten und erlegen, ohne daß ihnen eine Strafe droht«.
So nimmt es nicht wunder, daß bald viele Menschen zu
glauben begannen, auch die richtigen Wölfe seien Menschen in Tiergestalt oder als Teufel verkleidete Tiere. Auf
zeitgenössischen Darstellungen sind Wölfe häufig wie Menschen gekleidet, bevorzugt am Galgen hängend. Wurde
ein Wolf lebend gefangen, erschlug man ihn mancherorts
nicht einfach, sondern eröffnete eine längere und im Ablauf
gesetzlich genau festgelegte Gerichtsverhandlung über seine
Untaten, bei der ihm sogar ein Verteidiger zustand. Das
Urteil des Gerichts stand freilich von vornherein fest : Tod
durch Erhängen ; jedenfalls ist uns kein Freispruch überliefert worden. Im Vergleich zu den sonstigen Sitten der
Zeit war das ein gnädiger Tod. Den überführten »Wölfen« unter den Menschen erging es schlechter, wenn auch
ihre Identität ebenfalls bald Anlaß zu gelehrten theologischen Disputen gab. Hatten im »Hexenhammer« die Werwölfe, wie gesagt, als vom Teufel besessene Wölfe gegolten, so bestritt besagter Richter Boguet aus der Freigrafschaft, daß Menschen sich in Tiere verwandeln könnten.
Er war vielmehr davon überzeugt, der Teufel habe lediglich seine menschlichen Opfer mit einer Salbe eingerieben und ihnen ein Wolfsfell übergezogen, so daß sie sich
wie Wölfe bewegten, um Schafe und Kinder zu erwürgen.
Sein nicht minder berüchtigter Kollege, der Richter und
Hexeninquisitor Bodin, behauptete hingegen in seinem
1587 erschienenen Buch »Geisterglauben der Zauberer«, es
gebe überhaupt keine richtigen Wölfe, sondern nur Zauberer und Hexen, welche die Gestalt von Wölfen ange
Eine wahrhaftige ( ?) Begebenheit im Jahr 1635.
nommen hätten. Für die als Werwölfe Verurteilten war
es einerlei. Ihr Tod mußte qualvoll sein, denn, so schrieb
Bodin, »dadurch wird bewiesen, daß mit der Ursache auch
die Folgen beseitigt werden und daß Gott den Menschen
Prüfungen auferlegt, wie es ihm gefällt«.
Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts hörte der grausame
Spuk auf. Im Jahr 1710 veröffentlichte Laurent Bordeion sein
berühmt gewordenes Buch »Die Phantasien des Herrn Oufle,
ausgelöst durch die Lektüre von Büchern über Magie«, in
dem der Hexenwahn lächerlich
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