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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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gemacht wurde. Auf einen
Schlag wurden die Prozesse gegen Hexen und Wolfsmenschen unmöglich. Im Volksglauben aber lebten die Vorstellungen von Werwölfen weiter.
Die Gefährlichkeit des Wolfes
    Wie gefährlich war der Wolf nun tatsächlich ? Daß er große
wirtschaftliche Schäden verursachen konnte, steht fest. Für
den kleinen Pächter, der gerade ein paar Schafe und eine
Kuh oder zwei besaß, war der Wolf eine existentielle Bedrohung; sein Wüten bestimmte nicht selten über Leben und
Tod der ganzen Familie. Hat der Wolf jedoch auch Menschen direkt angegriffen, standen nicht nur die Haustiere
des Menschen, sondern die Menschen selber auf seinem
Speiseplan ?
    In unserer vom Rotkäppchenmärchen geprägten Vorstellung vom Wolf steht dies außer Frage. »Der Wolf ist ein
Raubtier, und ein Raubtier ist gefährlich !« war der kurze
Kommentar einer Bäuerin im Bayerischen Wald, als die
Wölfe dort ausgebrochen waren. Das Bild von der Bestie
sitzt noch immer tief. Die Schilderungen von marodierenden, Menschen verschlingenden Wölfen aus früheren Zeiten sind allerdings auch so häufig, daß die bis heute bestehende Angst vor ihnen nicht erstaunt.
    Und doch : Ob Wölfe jemals tatsächlich Menschen angegriffen haben, ist nach wie vor ungewiß. Amerikanische
Wissenschaftler streiten dies zumindest für ihren Kontinent und in bezug auf gesunde Wölfe schlichtweg ab ; allenfalls tollwütige Wölfe könnten ihrer Meinung nach Menschen in ganz seltenen Ausnahmefällen angegriffen haben.
Im Sog einer romantisierenden Rehabilitation des Wolfes
während der letzten Jahrzehnte, von der noch die Rede
sein wird, wurde diese Vorstellung inzwischen weltweit
kolportiert, auch bei uns in Europa. »Wölfe sind besser als
ihr Ruf«, so lautete unisono der Tenor fast aller Berichte
über dieses Tier in den letzten Jahren.
    Es ist in der Tat heute kaum noch möglich, in den zahlreichen Wolfsgeschichten insbesondere aus dem Mittelalter zwischen dem wirklichen Geschehen sowie Dichtung
und Phantasie zu unterscheiden. Es herrschte eine magische Denkweise vor, in der Mythisches und Übersinnliches
eine beherrschende Rolle spielten. So sind viele Nachrichten von Wolfsüberfällen voller Widersprüche. Die Wölfe
werden oft übertrieben groß und zudem als schwarzfarben
beschrieben und auch bildlich dargestellt. Doch es hat niemals schwarze Wölfe in Europa gegeben. Womöglich liegen
hier Verwechslungen mit Hunden vor, oder es hat sich gar
um Bastarde zwischen Wolf und Hund gehandelt.
    Wie leicht es zu solchen Fehleinschätzungen kommen
kann, haben wir in den Abruzzen erlebt. Die Bastarde wurden auch von alterfahrenen Schäfern, denen wir sie zeigten, nicht erkannt, und selbst Hunde wurden mehrmals
mit Wölfen verwechselt. So bekamen wir eines Sommertages im letzten Jahr unserer dortigen Arbeit Kunde von
einem toten Wolf, der in der Nähe von Campo di Giove
gefunden worden sei. Wir fuhren hin, sahen aber von weitem sofort, daß es ein ganz gewöhnlicher, wenn auch wolfsfarbener Hund war. Trotzdem gelang es uns nicht, die vielen Neugierigen, die aus dem Dorf gekommen waren, um
den »Wolf« zu sehen, davon zu überzeugen. Sie waren wei
Wölfe greifen ein Dorf an (mittelalterlicher Stich).
    terhin sicher, es handle sich um einen Wolf – und dies in
einer Gegend, in der Mensch und Wolf seit Jahrtausenden
nebeneinander leben.
    In vielen der überlieferten Berichte verhalten sich die
angreifenden Wölfe überdies ungewöhnlich. Sie tragen für
sie allzu große Lasten, halbwüchsige Kinder etwa oder ganze Schafe, im Maul davon, und auch sonst sind ihre Kräfte
geradezu übernatürlich und ihre Anzahl häufig jenseits
jeder Realität. Bei ihren Angriffen sollen sie schaurig geheult
haben, und nicht selten wurden sie im Winter aus ihren
Höhlen vertrieben. Viele Darstellungen wiederholen sich
zudem geradezu stereotyp, und zwar in einer je nach Gegend
und Epoche oftmals charakteristischen Weise.
    So erzählt man in Schweden gern die folgende Geschichte,
die sich im Jahr 1729 in einer Pfarrei Mittelschwedens zugetragen haben soll. Der Pastor Petrus Petri Schissler hörte
eines Morgens aus einer von ihm angelegten Wolfsgrube
viele Wölfe, die »ihre schaurige Stimme der Einsamkeit
erklingen ließen«, wie es heißt. Als er versuchte, einen der
insgesamt sechs gefangenen und zähnebleckenden Wölfe
zu erschlagen, fiel er selber in die Grube. Doch o Wunder:
Die Wölfe zerrissen ihn nicht, sondern zogen es vor, über
den Rücken des Pastors aus der

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