Der Wolf
einem kleinen Ausschnitt des
Gesamtrepertoires wölfischer Jagd. Wie der in einer Disziplin beschlagene Hochleistungssportler sind auch sie sportlich genug, in anderen Sparten Passables zu leisten. Demgegenüber entspricht der Wolf dem Zehnkämpfer unter
den Leichtathleten, beherrscht er doch alle Sparten der
Jagd gleich gut und sehr früh in seinem Leben. Doch wen
wundert das ? Auch der Jagdhund bekommt sein Fressen
ja vom Menschen, während der Wolf sich bald selbst zu
helfen wissen muß.
Die zweite Besonderheit, die mir beim Verhalten des Wolfes gegenüber dem des Hundes auffiel, ist die, daß Wölfe
viel schneller lernen, was sie bei der Jagd nicht können oder
was sinnlose Jagd ist. Die eine Erfahrung mit der nicht als
Auto erkannten »Beute« war für Anfa genug ; danach traten solche Fehler nicht mehr auf. Das gleiche galt für Vögel,
die auf dem Feld saßen, und für flüchtende Hasen einmaliges erfolgloses Hinterherjagen reichte für alle Zukunft.
Die Pudel hingegen konnten vom Spiel mit den Krähen auf
dem Feld ebensowenig genug bekommen wie meine späteren Jagdhunde, die etwa davonrasende Hasen über Berg
und Tal verfolgten. Natürlich gelingt es einem Jagdhund
hin und wieder, bei dieser wahllosen Jagd einen kranken
oder angeschossenen Hasen zu greifen ; doch dafür bedarf
es nicht hartnäckigen Nachhetzens. Ein Jagdhund, der einfach allem hinterherjagt, lernt erst langsam und mit wachsender Erfahrung zu unterscheiden, welche Beute sich lohnt
und welche nicht.
Ganz anders die Wölfe. Schon als große Welpen erscheinen sie in dieser Hinsicht wie der abgebrühteste Jagdhund.
Fast würde man meinen, es fehle ihnen an der nötigen Jagdmotivation, wenn sie hier einen davonrennenden Hasen
ignorieren und kurz darauf einem Reh gerade noch nachschauen, während der uns begleitende Jagdhund, vor Eifer
zitternd, kaum zurückzuhalten ist. Doch wenn sie einmal
loshetzen, ist ein Erfolg fast immer gegeben. So scheinen
sie in ihrem Leben sehr bald und erfolgreich ihre Chancen richtig einzuschätzen, ganz nach dem Grundsatz der
Effektivität. Nur der Hund kann sich den Luxus ständiger
Fehljagden erlauben. Der Wolf indes muß früh lernen, mit
seinen Kräften sparsam umzugehen.
Drittes Kapitel
Die »Sprache« der Wölfe
Die Sinnesleistungen der Wölfe
Grundsätzlich stehen den Wölfen dieselben auf den fünf
Sinnen basierenden Informationsträger zur Verfügung wie
den Menschen, nur sind die Leistungen ihrer Sinnesorgane
verschieden von denen der unsrigen. Als ich zum Beispiel
mit Anfa einmal im Wald lief und der Wind von hinten
kam, erkannte sie ein etwa fünfzig Meter vor uns still stehendes Reh nicht. Erst als sich das Reh bewegte, bemerkte
sie die mögliche Beute und jagte hinterher, dann allerdings
sehr geschickt jeder plötzlichen Richtungsänderung des
Rehes folgend.
Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Sinnesorganen unterscheidet der Physiologe
a) den »adäquaten Reiz« des Sinnesorgans, also die Art
des Reizes, der die Sinnesleistung ermöglicht;
b) die Empfindlichkeit des Sinnesorgans, also die Stärke
des adäquaten Reizes, ab der es zu einer Sinneswahrnehmung kommt.
Was den adäquaten Reiz des Gesichtssinnes des Wolfes
betrifft, so dürfte er für das Hell-Dunkel-Sehen dem des
Menschen weitgehend ähnlich sein. Farben hingegen sollen
Wölfe (und auch Hunde) nicht erkennen können ; der hierfür
notwendige Wahrnehmungsapparat fehlt ihnen anscheinend.
Was andererseits die Empfindlichkeit des Auges betrifft, so
ist sie beim Wolf am Tag nicht ganz so gut wie die des gut
sehenden Menschen. Das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges scheint etwas besser zu sein; das heißt, was
der Mensch gerade noch als getrennte Punkte wahrnimmt,
sehen Wolf und Hund als einen Punkt, ähnlich wie bei
einem grobkörnigen Film. Die zeitliche Trennbarkeit von
dicht aufeinanderfolgenden Reizen dürfte dagegen der des
menschlichen Auges ebenbürtig, wenn nicht sogar besser
sein als diese, so daß die Wölfe schnelle Bewegungen gut
erkennen und ihnen folgen können.
Der adäquate Reiz für die akustische Wahrnehmung entspricht im unteren Frequenzbereich, also bei den tiefen
Tönen, dem des Menschen, während Wolf und Hund im
oberen Bereich auch Töne mit einer Frequenz von mehr
als 21 000 Hertz (Obergrenze für das menschliche Ohr)
hören können. Die bekannte Hundepfeife, die einen für
das menschliche Ohr kaum noch wahrnehmbaren hohen
Ton sendet, kann der Wolf also gut hören. Trotzdem liegen
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