Der Wolf
jungen Wolf. Die Entscheidung fiel früh, und Versuche, die andere Gruppe zu
suchen, fanden kaum statt. Auch bei einer Aufteilung von
vier (Dagmar plus drei Jungwölfe) zu zwei (Anfa und ich)
folgten die Testwölfe bevorzugt der Führungsgruppe, wenn
auch nicht mehr jedesmal. Bei weiterer Vergrößerung der
einen Gruppe entschieden sich die Testtiere aber immer
häufiger für sie, und schließlich wurde sie sogar bevorzugt.
Allerdings war es jetzt oft schwer festzustellen, wem das
Testtier tatsächlich folgte, da es lange zwischen den auseinanderstrebenden Gruppen hin und her rannte. Manchmal liefen wir bis zu dreißig Minuten lang auseinander, bis
entweder eine Entscheidung gefallen war oder der Versuch
abgebrochen werden mußte, weil das Testtier seine Unentschlossenheit dadurch behob, daß es sich gänzlich von seinem »Rudel« absetzte.
Anfa war nur durch Stachelhalsband und ständiges gewaltsames Ziehen zur Trennung zu zwingen. Viel stärker als
die angeleinten Jungwölfe sträubte sie sich gegen jede Trennung, und dies um so heftiger, je größer die davonstrebende
Gruppe war. In dem Moment, da ich locker ließ, wollte sie
sofort zur anderen Gruppe zurück. Das entspricht völlig
dem Verhalten Wölfchens einige Jahre später im Bayerischen Wald, als er der Ranghöchste war. Bei keinem Tier
ist die Affinität zur Gruppe so stark ausgeprägt wie bei
den Alpha-Tieren.
Nach diesen Trennungsversuchen machten wir noch einige
weitere Versuche, wobei eine Gruppe nach einer Rast sitzen
blieb, während die andere weiterzog. Dabei erwies es sich,
daß die weiterziehende Gruppe eine große Anziehung auf
den frei laufenden Wolf ausübte. Keiner der Wölfe blieb
jemals bei der weiterhin ruhenden Gruppe zurück.
Rudelzusammenhalt und -führung
Insgesamt zeigten die Ergebnisse, daß gewisse Tiere wesentlich mehr zum Zusammenhalt des Rudels beitragen als
andere, und zwar auf zweierlei Weise : Zum einen üben sie
eine große Attraktivität auf die anderen Rudelmitglieder
aus, und zum anderen bemühen sie sich selbst aktiv um
den Kontakt. Beide Komponenten der Bindung, Attraktivität auszuüben und selbst angezogen zu werden, scheinen für die meisten Zweierbeziehungen der Wölfe übereinzustimmen. Ein für die Rudelmitglieder attraktiver Wolf
wird selbst stark von diesen angezogen.
Anders ist es bei den Welpen. Diese üben sicherlich in
den ersten Wochen ihres Lebens eine größere Attraktivität auf die Älteren aus, als sie selber an diese gebunden
sind. Wenn sie dann etwa fünf Monate alt sind, scheint sich
das Verhältnis umzukehren : Die Welpen verlieren etwas
von ihrer Attraktivität für die Älteren, werden selber aber
von diesen jetzt besonders angezogen. Dies trägt dazu bei,
daß das Rudel im frühen Herbst wieder auf Wanderungen
gehen kann. Die Älteren können so leichter weiterziehen,
während die Welpen dadurch dem Rudel auf seinen Wanderungen besser zu folgen vermögen. – Kommen wir aber
zurück zu dem Phänomen, daß einzelne Wölfe mehr zum
Zusammenhalt des Rudels beitragen als andere. Wenn zwischen A und B sowie zwischen A und C eine starke Bindung herrscht, muß, wie gesagt, zwischen B und C nicht
unbedingt auch eine starke Bindung bestehen, obwohl beide
aufgrund ihrer jeweiligen Bindung zu A häufig beieinander anzutreffen sind. Im Rudel sind es die ranghöchsten
Adulten, zu denen starke Bindungen existieren, in besonderem Maße wohl der Alpha-Rüde, der so für den Zusammenhalt des Rudels eine überragende Funktion hat. Daneben kann es zwischen weiteren Tieren starke Bindungen
geben, zum Beispiel zwischen den Welpen und besonders
um die Welpen bemühten Rudelmitgliedern. Solche von
wenigen Tieren ausgehende Bindungsachsen dürften letztlich für den Zusammenhalt vor allem der größeren Rudel
ausschlaggebend sein.
Die stärksten und stabilsten Bindungen treten zwischen
den kleinen Gruppen ranghoher Adulter auf : zwischen
dem Alpha-Paar und vielleicht einem weiteren Rüden, der
entweder nur zu dem ranghöchsten Rüden oder auch zum
Alpha-Weibchen eine starke Bindung hat. Da diese Gruppe
eng zusammenbleibt, übt sie nicht nur von der »Qualität«
ihrer Mitglieder, sondern auch von deren Quantität her
eine starke Attraktivität auf die anderen Wölfe aus. Bei
den Trennungsversuchen hat es sich ja deutlich gezeigt,
daß die Größe einer Gruppe einen wesentlichen Einfluß
auf das Verhalten anderer Rudelmitglieder hat. Die ranghohen Adulten erfahren dadurch eine zusätzliche
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