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Der Wolfstrank

Der Wolfstrank

Titel: Der Wolfstrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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war, dass dies erst der Anfang war. Bei einem einmaligen Besuch würde es sicherlich nicht bleiben.
    Was tun?
    Ich kann nicht hier herumsitzen und mich den trüben Gedanken hingeben, dachte sie. Da werde ich noch verrückt. Ich muss etwas unternehmen.
    Das hing mit ihrer Enkelin zusammen. Vielleicht war sie jetzt zur Vernunft gekommen und ließ mit sich reden. Sie musste auch nicht unbedingt schon schlafen. Marlene erinnerte sich daran, wie oft sie auf der Bettkante ihrer Enkelin gesessen, sie getröstet oder ihr etwas vorgelesen hatte. Es war für sie stets eine schöne Stunde gewesen, doch in dieser Nacht fürchtete sie sich ein wenig davor, das Zimmer des Mädchens zu betreten.
    Mit leisen Schritten stieg sie die Treppe hoch. Ihr Herz klopfte schneller, je näher sie Lucy’s Tür kam. Sie betrat das Zimmer noch nicht und neigte zunächst ein Ohr gegen die Tür. Es war nichts zu hören. Beruhigt war Marlene trotzdem nicht, deshalb bückte sie sich und warf einen Blick durch das Schlüsselloch.
    Dass im Zimmer noch Licht brannte, hatte sie an dem hellen Streifen erkannt, der sich am Boden der Tür anmalte.
    Viel konnte Marlene nicht erkennen. Aber sie sah einen Teil des Betts, und es war belegt.
    Klopfen oder nicht?
    Marlene entschied sich dagegen. Es war seltsam, aber in diesem Fall fühlte sie sich schon wie ein Eindringling, als sie die Hand auf die Klinke legte und jetzt hoffte, dass Lucy die Tür nicht von innen abgeschlossen hatte.
    Das tat sie eigentlich nie, und daran hatte sie sich auch in dieser Nacht gehalten.
    Marlene drückte die Tür behutsam nach innen und lächelte, als das so lautlos geschah. Lucy meldete sich auch nicht. Sie schlief, obwohl das Licht der kleinen Lampe ihren Schein abgab, der auch die obere Betthälfte erreichte.
    Auf Zehenspitzen überschritt Marlene die Schwelle. Wie eine Puppe lag Lucy in ihrem Bett. Ihr Gesicht wirkte völlig entspannt. Hinzu kam das blonde Lockenhaar. In dieser Haltung glich sie wirklich einem schlafenden Engel. Als Engel war sie früher auch bezeichnet worden, aber das schien für Marlene in diesen Augenblicken um Lichtjahre zurückzuliegen.
    Noch immer schlich sie an das Bett heran, ohne dass ihre Enkelin etwas bemerkte. Lucy lag auf der linken Seite. Sie hatte sich nicht ganz zudeckt. Der rechte Arm lag frei, und der Ärmel des Nachthemds war nach oben geschoben. Den Bademantel hatte das Mädchen abgestreift. Er hing über der Lehne eines Stuhls.
    Der Atem drang regelmäßig aus dem Spalt zwischen den Lippen. Das Gesicht zeigte um die Mundwinkel herum ein Lächeln. Wer so aussah, der musste wirklich schöne Träume haben, und die gönnte die Großmutter ihrer Enkelin.
    Auf der anderen Seite war sie auch vorsichtig, denn mit deren Träumen konnte sie sich nicht identifizieren. Sie drehten sich vermutlich um Themen, die sie ablehnte.
    Marlene zweifelte, wie es weitergehen sollte. War es sinnvoll, Lucy zu wecken? Würde sie ihr mehr über das Abenteuer mit dem Wolf erzählen? Sie wusste es nicht. Sie überlegte und beugte dabei den Oberkörper nach vom. Die Arme hielt sie ausgestreckt, und ihre Hände lagen auf den unteren Enden der Oberschenkel.
    »Kind«, flüsterte sie. »Was machst du nur für Sachen? Wie soll ich das deinen Eltern beibri...«
    Sie verstummte mitten im Satz. Plötzlich zog sich bei Marlene die Haut im Nacken zusammen, und sie hatte das schreckliche Gefühl, in einer Klammer zu stecken.
    Man hatte ihr nichts getan, das vorweg, aber der Schatten auf dem freiliegenden Arm war nicht zu übersehen. Ein schwacher, ein dunkler Schatten, den sie zuvor bei ihrer Enkelin noch nie gesehen hatte. Jetzt war er nicht zu übersehen.
    Marlene musste sich schon überwinden, um den Arm anzufassen. Sie wollte genau wissen, was der Schatten zu bedeuten hatte, und strich behutsam mit den Fingerspitzen darüber hinweg.
    Die Wahrheit traf sie brutal.
    Das war kein Schatten, über den sie strich, denn Schatten ließen sich nicht fühlen. Was da an ihren Fingerkuppen entlangglitt, waren feine Härchen – fast wie Fell...
    ***
    Marlene King stand neben dem Bett und zitterte wie das berühmte Espenlaub. Die Hand hatte sie wieder zurückgezogen, denn sie wollte ihre Enkelin nicht mehr anfassen. Für sie war die Kleine zu einem anderen Menschen geworden. Lucy hatte nichts von der Berührung bemerkt. Sie schlief ruhig weiter. Keine wilden Träume, was sich durch das Flattern der Lider bemerkbar gemacht hätte, sie blieb ruhig liegen, und auch das Lächeln blieb auf

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