Der Wolfstrank
nicht so gut kennen würde, dann hätte ich auch nichts unternommen. Aber ich weiß, dass sie keine Spinnerin ist und nicht irgendetwas einfach aus dem Nichts hervorholt. Da steckt schon etwas dahinter. Ihre Verzweiflung am Telefon klang echt.«
»Das glaube ich Ihnen gern«, sagte ich. »So schlimm es auch für Lucy sein mag, aber wir haben jetzt Tag. Da wird sie sich nicht weiter verwandeln.«
»Falls es nicht schon geschehen ist«, schränkte Suko ein.
»Mal den Teufel nicht an die Wand«, flüsterte ich und wandte mich wieder an den Kollegen. »Was hat Mrs. King Ihnen noch gesagt? Ist sie auf Einzelheiten eingegangen?«
»Nein, Mr. Sinclair, das ist sie leider nicht. Es gab keine Details. Abgesehen davon, dass ihre Enkelin wieder mitten in der Nacht verschwunden ist und sie auch bis zum frühen Morgen nicht zurückkehrte. Die Frau hat sich Vorwürfe gemacht, Lucy überhaupt allein wieder gehen zu lassen, aber man muss sie verstehen, denn sie stand ebenfalls noch unter Schock. Da reagieren Menschen eben anders.«
Da hatte er etwas Wahres gesagt. Suko nickte ihm zu. »Wir werden uns natürlich um die Sache kümmern. Jetzt erst recht. Und diese Marlene King wohnt in Common?«
»Nein, nicht direkt. Das Gebiet gehört noch zum Ort, aber es liegt etwas außerhalb.« Seine Stimme wurde leiser, als er sagte: »Nicht sehr weit von einem dichten Waldstück entfernt.«
»Das Sie natürlich auch kennen.«
»Klar, Suko.«
»Erzählen Sie etwas darüber.«
Dennis Fenton lachte leise. »Was soll ich Ihnen groß erzählen? Da gibt es nicht viel zu berichten. Für uns Kinder damals war der Wald so etwas wie ein Abenteuer-Spielplatz, der allerdings nur von dem Mutigsten betreten wurde. Es gab viele, die Angst davor hatten oder deren Eltern ihnen verboten hatten, in den Wald zu gehen. Dazu gehörte ich nicht.«
»Gut – ja«, sagte Suko, »können Sie sich daran erinnern, ob Ihnen schon damals etwas aufgefallen ist?«
»Was meinen Sie denn?«
»Eine Hütte oder ein Haus im Wald?«
»Nein, ganz und gar nicht. Das kann ich beschwören. Daran hätte ich mich erinnert.« Er schüttelte den Kopf. »Die Eindrücke aus der Kindheit erhalten sich am längsten. Ich denke nicht, das mir so etwas entfallen wäre.«
»War auch nur ein Versuch, denn Cedric Morton sprach von einer derartigen Hütte.«
»Die kann durchaus später errichtet worden sein.«
»Das denke ich auch.«
Der Kollege Fenton betonte noch einmal eindringlich, dass er die Großmutter der Verschwundenen nicht für eine Schwätzerin hielt, die sich wichtig machen wollte. »Sie ist eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Und sie hat sich eine Aufgabe vorgenommen, indem sie ihre Enkelin so lange erzieht, bis der Job des Vaters die Eltern wieder in die Heimat treibt.«
»Haben Sie eine Telefonnummer?«, erkundigte ich mich.
Fenton lächelte knapp. »Die habe ich mir geben lassen. Ich hoffe nur, dass Mrs. Fenton sie in all der Aufregung auch behalten hat.« Er holte einen Notizblock hervor, auf dem er die Nummer notiert hatte. Er diktierte sie uns, und Suko schrieb mit.
»Dann sollten Sie es direkt probieren«, schlug Sir James vor und deutete auf das Telefon.
»Danke, Sir.«
Ich stand auf. Die Nummer war schnell eingetippt. Ich hoffte, dass Mrs. King abhob. Wichtig war auch, dass Dennis Fenton bei uns blieb. Er konnte sie beruhigen, wenn sie sich zu stark aufregte.
Leider hatte ich Pech. Zwar ging der Ruf durch, aber Mrs. King hob nicht ab. Ich gab es schließlich auf und schaute in drei Gesichter, die alles andere als fröhlich aussahen.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Dennis Fenton leise.
»Was nicht?«
»Nun ja, ich hatte sie gebeten, zu Hause zu bleiben, bis ich mich wieder melde. Ich wollte sie mit einer Erfolgsmeldung verwöhnen, aber das ist jetzt vorbei. Sie scheint nicht im Haus zu sein, nehme ich als positiv an. Oder es ist ihr etwas passiert, was ich nicht hoffen will.«
»Nicht unbedingt am Tag«, sagte Suko, »das ist keine Zeit für Werwölfe.«
»Na, Sie haben Humor.«
Ich nickte Sir James zu. »Egal, was passiert ist, wir müssen so schnell wie möglich los. Wenn die nächste Nacht anbricht, möchte ich mir den Wald schon angesehen haben.«
»Aber zwei Minuten haben Sie noch Zeit.«
»Sicher.«
Sir James bedankte sich noch mal bei dem Kollegen Fenton, der dann entlassen war. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sahen wir den sehr ernsten Blick hinter den Gläsern der Brille unseres Chefs. »Einmal abgesehen
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