Der Wolkenatlas (German Edition)

schilderte, wie es zwischen den Fachbereichen zum Streit gekommen war, als er von seiner Entdeckung berichtete. Konzernokraten der alten Schule wollten mich als Abweichlerin ins Euthanasium befördern; die Psychogenomiker wollten mich einer Hirnvivisektion unterziehen; die Marketing-Xperten wollten an die Öffentlichkeit treten und mich als bahnbrechende Forschungssensation der Taemosan-Universität verkaufen.
     
    Offensichtlich konnte sich keiner von ihnen durchsetzen.
Nein. Die Eintracht erzielte einen vorübergehenden Kompromiss: Bis ein mehrheitsfähiger Beschluss gefasst wurde, ließ man mir meine imaginäre Willensfreiheit und erlaubte mir, mich unter heimlicher Beobachtung selbständig weiterzubilden. Aber Boom-Sooks Armbrust zwang die Eintracht zum Handeln.
     
    Und … was hatte Vorstand Mephi dann mit dir vor?
Er arbeitete an einer Lösung, der alle, die sich um ein Stück von mir rissen, zustimmten. Viele Konzerne hatten erfolglos Milliarden in private Forschungslabore gesteckt, um das aus mir zu machen, was ich war, was ich bin. Um die Genomiker bei Laune zu halten, sollten sorgfältig ausgewählte Wissenschaftler interdisziplinäre Tests mit mir durchführen. Ich erinnere mich noch, wie Mephi seine Hände in die 3D-Flammen hielt und mir versicherte, dass die Tests weder strapaziös noch schmerzhaft seien und nicht mehr als fünf von zehn Wochentagen à maximal drei Stunden in Anspruch nehmen würden. Um den Universitätsvorstand für die Sache zu gewinnen, sollte die Teilnahme an dem Forschungsprojekt versteigert werden; auf diese Weise würde ich meinen neuen Herren einen Haufen Dollars einbringen. Um die orthodoxen Konzernokraten ruhig zu stellen, wollte er ihnen den aufgestiegenen Duplikanten als ein weiteres instabiles Versuchsobjekt präsentieren, das kurz vor der geistigen Entropie stand; ein Schachzug, der gleichzeitig verhindern sollte, dass die Abolitionisten und die Union mich als trojanisches Pferd, als Ikone oder Märtyrerin vor ihren Wagen spannten.
     
    Fanden die Interessen von Sonmi~451 Berücksichtigung in dieser Gleichung?
Die Universität war bereit, mich zum Grundstudium zuzulassen. Außerdem würde man eine Seele in mein Halsband implantieren, damit ich mich frei auf dem Campus bewegen konnte. Vorstand Mephi versprach mir sogar, mich zu unterrichten, wenn er in der Uni war. Er zog seine Hand aus dem Feuer und untersuchte seine Finger. ‹Reines Licht ohne Hitze. Die jungen Leute von heute würden ein richtiges Feuer nicht einmal erkennen, wenn ihre Studentenwohnheime abbrennen.› Dann bat er mich, ihn nicht länger mit ‹Herr›, sondern mit ‹Professor› anzusprechen.
     
    Eine Sache verstehe ich nicht. Wie war es Boom-Sook gelungen, den heiligen Gral der Genomik – den stabilen Aufstieg – zu finden, wenn er so ein fauler Tölpel war?
Hae-Joo Im erklärte es mir so: Der Agent, den Boom-Sook für seine Dissertation engagiert hatte, war bei seinen Recherchen auf Gold gestoßen. Ein Flüchtling am Baikal-Institut namens Yusuf Suleiman hatte Boom-Sooks Doktorarbeit schon vor fünfzehn Jahren geschrieben. Damals verübten abolitionistische Xtremisten in Sibirien Attentate auf Genomiker, und Suleiman und drei seiner Professoren starben durch eine Fordbombe. Da das Baikal-Institut kein Renommee hat und Suleiman ein Immigrant aus einer Produktionszone war, gerieten seine Forschungen in Vergessenheit, bis sie zufällig Boom-Sooks Promotionsjockey in die Hände fielen. Der Agent nahm Verbindung mit dem Papa-Song-Konzern auf und erreichte, dass die Aufstiegsformel unserer Seife zugesetzt wurde. Yoona~939 war der Hauptproband; ich der modifizierte Ersatz. Das klingt vielleicht absurd, meinte Hae-Joo, aber schließlich sind viele große Ereignisse der Wissenschaftsgeschichte das Ergebnis ähnlich glücklicher Zufälle gewesen.
     
    Und Boom-Sook Kim bemerkte nichts von dem Wirbel, den seine Dissertation verursachte?
Nur ein Dummkopf, der noch nie eine Pipette oder eine Petrischale in der Hand gehabt hat, bemerkt so etwas nicht. Boom-Sook Kim war ein solcher Dummkopf. Aber vielleicht war das kein Zufall.
     
    Wie gefiel dir dein neues Leben in der Eintracht-Fakultät?
Wie Sie sich erinnern werden, fand mein Umzug am Sextettabend statt, und so blieben mir sechs ruhige Tage, bevor aus meinem neuen Leben Ernst wurde. Das letzte Sextett war das kälteste seit den Vierzigern. Ich ging nur ein einziges Mal hinaus auf den vereisten Campus; ich wurde so genomiert, dass ich mich in heißen