Der Wolkenatlas (German Edition)
dort vorgefunden?
Huamdonggil ist ein abstoßendes Labyrinth aus windschiefen, baufälligen Behausungen, Absteigen, Leihhäusern, Drogenbars und Trosthäusern, das in eine finstere Welt gehört. Hae-Joo parkte den Ford in einer Garage und bat mich, mein Gesicht zu bedecken, da gestohlene Duplikanten in den Slumbordellen landen, wo man sie stümperhaft operiert und gefügig macht.
In den zickzackförmigen Gassen und Kanälen stank es nach Kloake. Reinblüter hockten in den Hauseingängen; ihre Haut war vom siedend heißen Regen dieser Gegend verbrannt. Kinder leckten Wasser aus den Pfützen. Ich fragte Hae-Joo, wer diese Leute seien; er erklärte mir, dass die Krankenhäuser den Seelen der an Enzeph oder Bleilunge erkrankten Migranten so viele Dollars abknöpften, dass sie sich nur noch die Spritze fürs Euthanasium leisten können – oder die Fahrt nach Huamdonggil.
Ich verstand nicht, warum die Migranten ihre Produktionszonen für ein solches Schicksal verließen. Hae-Joo nannte Malaria, Flutkatastrophen, Dürre, gendefektes Getreide, Parasiten, sich ausbreitende Deadlands als mögliche Gründe, und den simplen Wunsch, den eigenen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Der Papa-Song-Konzern, fuhr er fort, sei ein humaner Arbeitgeber im Vergleich zu den Fabriken, aus denen viele dieser Migranten geflohen seien. Schleuser lockten sie mit dem Versprechen, dass es in den zwölf BZs Dollars regnet – die Migranten schenkten ihnen voller Sehnsucht Glauben und fänden die Wahrheit erst heraus, wenn sie zu Untermenschen geworden seien. Die Schleuser arbeiteten nur in eine Richtung. Hae-Joo zog mich von einer miauenden, zweiköpfigen Ratte fort; er warnte mich vor ihrem Biss.
Ich fragte ihn, warum der Stadtvorstand dieses Elend duldete.
Huamdonggil gelte allgemein als chemische Toilette, antwortete er, wo sich unerwünschter menschlicher Abfall entsorgen ließe; nicht völlig unsichtbar zwar, aber doch unauffällig. ‹Die Untermenschenslums sind zudem ein Ansporn für Subschichtkonsumenten. Hier sehen sie, was mit denen passiert, die nicht wie gute Bürger arbeiten und Dollars ausgeben. Unternehmer machen sich den rechtsfreien Raum der Slums auf makabre Weise zunutze, indem sie Vergnügungszonen bauen und so dafür sorgen, dass Huamdonggil durch Steuer- und Schmierdollarzahlungen zur Goldgrube für die Supraschicht wird. Die MedCorp hält einmal wöchentlich eine Sprechstunde für sterbende Untermenschen ab, die dort im Tausch gegen noch gesunde Teile ihres Körpers die Euthanation erhalten; die OrganiCorp hat einen lukrativen Vertrag mit dem BZ, der ihr erlaubt, täglich eine Armee immungenomierter Duplikanten dorthin zu schicken, die – ähnlich wie die Katastrophenschützer – die Leichen zusammenkehren, bevor die Fliegenlarven schlüpfen.› Dann bat mich Hae-Joo plötzlich, still zu sein: Wir waren am Ziel.
Was war das für ein Ort?
Ich erinnere mich an ein auf Pfählen stehendes Mah-Jongg-Haus mit einer hohen, weiß getünchten Türschwelle zum Schutz vor Überschwemmung, aber ich würde das Gebäude nicht wiedererkennen. Huamdonggil ist weder rasternummeriert noch kartographiert. Hae-Joo klopfte, ein Guckloch blinzelte, mehrere Riegel wurden gelöst und ein Portier in fleckigem Schutzanzug öffnete die Tür. Er war mit einer gefährlich aussehenden Eisenstange bewaffnet und grunzte, wir sollten auf Ma Arak Na warten. Ich hätte gern gewusst, ob er unter seinem Kopfschutz ein Duplikantenhalsband trug.
Ein verräucherter Flur mit Schiebewänden aus Papier war nur bis zu einem scharfen Knick einsehbar. Ich hörte Mah-Jongg-Ziegel, roch Füße, sah xotisch gekleidete, reinblütige Bedienerinnen, die Tabletts mit Getränken trugen. Sobald sie eine Schiebewand öffneten, wichen ihre gereizten Mienen dem entzückendsten Mädchenlächeln. Ich folgte Hae-Joos Beispiel und zog meine Nikes aus, an denen der Schmutz von Huamdonggil klebte.
‹Du wärest nicht gekommen, wenn du gute Neuigkeiten hättest›, sagte eine unmelodische Stimme. Die Besitzerin sprach aus einer Luke in der Decke zu uns. Ob ihre transparenten Lippen, die halbmondförmigen Augen und die schleppende Sprechweise genomiert oder Ergebnis einer Mutation waren, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Ihre mit Schmuckwarzen übersäten Finger umklammerten den Rand der Luke.
Hae-Joo stellte sich genau unter das Viereck und sprach die Frau als Ma Arak Na an; offenbar war sie die Besitzerin des Etablissements. Der Unionler erstattete Bericht: Eine Zelle
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