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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Gingerbeer und Ernie ein großes Angry Bastard. Der Barkeeper ließ den Fernseher keine Sekunde aus den Augen – er bereitete unsere Getränke nur mit Hilfe des Tastsinns zu. Just als wir in einem Alkoven Platz nahmen, fegte ein Wirbelsturm der Verzweiflung durch den Schankraum. Elfmeter für England! Die Zuschauer ereiferten sich in patriotischer Erregung.
    «Ich würde gern einen Blick auf unsere Route werfen. Ernie, die Karte, wenn ich bitten darf.»
    «Die hatten Sie zuletzt.»
    «Oh. Dann liegt sie wohl …» In meinem Zimmer. Großaufnahme, Regisseur Lars, von Cavendish beim Erkennen seines verhängnisvollen Fehlers. Ich hatte die Karte auf meinem Bett liegen lassen. Für Schwester Noakes. Inklusive der mit Filzstift markierten Route. «… im Auto … o Gott. Lassen Sie uns schnell austrinken und weiterfahren.»
    «Aber wir haben doch kaum genippt.»
    Ich schluckte schwer. «Was die, äh, Karte angeht …» Ich sah auf die Armbanduhr und berechnete Entfernungen und Geschwindigkeiten.
    Ernie kapierte. «Was ist damit?»
    Meine Antwort ging in klagendem Stammesgeheul unter. England hatte den Ausgleich erzielt. Im selben Moment, und das ist nicht geflunkert, schneite Withers zur Tür herein. Seine Gestapo-Augen nahmen uns ins Visier. Der Mann war nicht glücklich. Neben ihm tauchte Johns Hotchkiss auf, erblickte uns und wirkte mehr als glücklich. Er griff nach seinem Handy, um seine Racheengel herbeizurufen. Ein Flegel in ölbeschmiertem Overall vervollständigte die Truppe, doch offenbar hatte Schwester Noakes Johns Hotchkiss bis jetzt erfolgreich davon abhalten können, die Polizei zu verständigen. Die Identität des öligen Flegels wird mir für immer verborgen bleiben, aber eines wusste ich sofort: Das Spiel war aus.
    Veronica seufzte leise. «Ich habe mich so gefreut», sang sie mit brüchiger Stimme, «den wilden Bergthymian auf der blühenden Heide zu sehen, und nun heißt es fort, Mädchen, fort …»
    Vor uns lag ein Dämmerdasein voller Beruhigungsmittel, Verbote und stupider Fernsehsendungen. Mr.   Meeks stand demütig auf, um mit unseren Kerkermeistern mitzugehen.
    Ein biblisches Gebrüll drang aus seiner Kehle. (Lars: Kamerafahrt vom Parkplatz herein, an der voll besetzten Bar vorbei, hinunter bis zwischen Mr.   Meeks’ morsche Mandeln.) Die Fernsehzuschauer stellten abrupt die Gespräche ein, verschütteten ihre Getränke und glotzten. Sogar Withers erstarrte vor Schreck. Der über Achtzigjährige sprang auf die Bar wie Fred Astaire zu seinen besten Zeiten und schrie seinen schottischen Brüdern folgenden SOS-Ruf zu: «Are there no trrruuue Scortsmen in tha hooosse ?»
    Ein vollständiger Satz! Ernie, Veronica und ich waren platt wie Zeitungspapier.
    Dramatische Stille. Keiner rührte sich.
    Mr.   Meeks zeigte mit knochigem Zeigefinger auf Withers und psalmodierte folgende altertümliche Verwünschung: «Die englischen Schweine da treten meine gottgegebenen Rechte mit Füßen! Sie haben mich und meine Freunde auf schändlichste Weise misshandelt, und wir benötigen dringend eure Hilfe!»
    Withers knurrte: «Halten Sie den Rand und stellen Sie sich Ihrer Strafe.»
    Die südenglische Herkunft unseres Entführers war aufgeflogen! Ein Rocker erhob sich wie Poseidon und ballte die Hände zur Faust. Ein Kranführer stellte sich zu ihm. Ein haigesichtiger Mann in einem sündhaft teuren Anzug. Eine Frau mit einer Axt und den entsprechenden Narben.
    Der Fernseher wurde ausgestellt.
    Ein Highlander sagte mit sanfter Stimme: «Aye, mein Junge. Wir lassen euch nicht hängen.»
    Withers peilte die Lage und setzte ein hämisches «Träum weiter!»-Grinsen auf. «Diese Leute sind Autodiebe.»
    «Sind Sie Polyp?» Die Frau mit der Axt rückte vor.
    «Los, zeigen Sie uns Ihre Marke.» Der Kranführer rückte vor.
    «Mann, Sie lügen doch wie gedruckt», stieß Poseidon verächtlich hervor.
    Eine besonnene Reaktion hätte uns vielleicht um den Sieg gebracht, doch Johns Hotchkiss schoss ein verhängnisvolles Eigentor. Als er sah, dass ein Billardqueue ihm den Weg versperrte, besiegelte er sein Schicksal mit den Worten: «Jetzt hör mal gut zu, du Neandertaler, du kannst von mir aus deine Felltasche vögeln, aber wenn du glaubst …» Einer seiner Zähne flog fünf Meter weit und platschte in meinen Whisky. (Ich fischte ihn als Beweisstück heraus, denn sonst glaubt mir ja kein Mensch.) Withers packte und brach ein auf ihn zusausendes Handgelenk und schleuderte ein mickriges Bürschchen über den

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