Der Wolkenatlas (German Edition)
als Hallo sagen.»
«Ist das denn im Sinne Ihrer Abmachung mit Trans Vision?»
Grelsch steht auf und faltet seine Zeitung. «Niemand hat mir verboten, meine Verbindungen spielen zu lassen.»
58
Jerry Nussbaum gibt Luisa die Autoschlüssel zurück. «Lieber Gott im Himmel, bitt lass mich als der Sportwagen von Luisas Mutter wiedergeboren werden. Welcher, ist mir egal. Ist das der letzte Karton?»
«Ja», sagt Luisa, «danke.»
Nussbaum zuckt die Achseln wie ein bescheidener Maestro. «Ohne eine richtige Frau, über die man Chauvi-Witze reißen kann, wird’s ziemlich öde bei uns. Nance ist nach Jahrzehnten in der Redaktion schon ein halber Kerl geworden.»
Nancy O’Hagan schlägt auf ihre klemmende Schreibmaschine und zeigt Nussbaum den Stinkefinger.
«Ja», sagt Roland Jakes niedergeschlagen, während er Luisas leeren Schreibtisch betrachtet, «und ich kapier nicht, wieso die Neuen eine wie dich hochkant rausschmeißen, aber ’ne Molluske wie Nussbaum behalten.»
Nancy O’Hagan zischt wie eine Kobra. «Wie kann Grelsch », sie zeigt mit ihrer Zigarre auf sein Büro, «sich einfach so auf den Rücken legen und die Beine in die Luft strecken, wenn KPO dich auf so miese Weise kaltstellt?»
«Wünscht mir Glück.»
«Glück?», schnaubt Jakes. «Du brauchst kein Glück. Kapier eh nicht, wieso du so lange bei diesem toten Hai geblieben bist. Die Siebziger werden den Todesseufzer der Satire erleben. Es stimmt, was Lehrmann sagt. In einer Welt, in der Henry Kissinger den Friedensnobelpreis kriegt, stehen wir bald alle ohne Job da.»
«Ach, übrigens», erinnert sich Nussbaum, «ich bin auf dem Rückweg an der Poststelle vorbeigekommen. Für dich.» Er gibt Luisa einen wattierten khakifarbenen Umschlag. Luisa erkennt die geschwungene, unleserliche Handschrift nicht. Sie begutachtet den verschmierten Poststempel und zeigt ihn Nussbaum. «Heißt das vierter September?»
Nussbaum kneift die Augen zusammen. «Glaub schon. Was ist so besonders daran?»
Ohne zu antworten, schneidet sie den Umschlag auf. Darin liegt, eingewickelt in einen kurzen Brief, der Schlüssel zu einem Schließfach. Luisas Gesicht wird ernst, als sie die Nachricht überfliegt. Sie überprüft zweimal die Aufschrift auf dem Schlüsseletikett. «Third Bank of California, 9th Street. Wo ist das?»
«Im Zentrum», antwortet O’Hagan, «an der Kreuzung Flanders Boulevard.»
«Bis demnächst mal.» Luisa geht. «Die Welt ist klein.»
«Boah», sagt Jakes, «was hat’n das jetzt zu bedeuten?»
59
Während Luisa auf die grüne Ampel wartet, überzeugt sie sich zum dritten Mal, ob sie auch nichts überlesen hat. Der Brief wurde hastig geschrieben.
By International Airport,
3-IX-1975
Liebe Miss Rey,
verzeihen Sie diese rasch hingekritzelten Zeilen. Ein Sympathisant bei Seaboard hat mich gewarnt, dass ich in akuter Lebensgefahr schwebe. Um die Defekte von HYDRA-Zero aufzudecken, benötigt man eine vortreffliche Gesundheit, und so werde ich diesem Wink Folge leisten. Sobald es mir möglich ist, werde ich mich aus Cambridge oder über die IAEA bei Ihnen melden. In der Zwischenzeit habe ich mir erlaubt, meinen Bericht über Swannekke B in einem Schließfach bei der Third Bank of California in der 9th Street zu hinterlegen. Sie werden ihn brauchen, sollte mir etwas zustoßen.
Passen Sie auf sich auf.
In Eile
R. S.
Wildes Gehupe ertönt, während Luisa sich mit dem unvertrauten Getriebe abmüht. Hinter der 13th Street verliert Buenas Yerbas seinen betuchten Pazifikcharme. Die von der Stadt bewässerten Johannisbrotbäume weichen verbogenen Straßenlaternen. In den Seitenstraßen gibt es keine keuchenden Jogger mehr. Das typische Aussehen eines Gewerbegebiets in einer heruntergekommenen Industriestadt. Auf den Bänken dösen Obdachlose, durch die Risse im Asphalt schießt das Unkraut, die Hautfarbe wird von Block zu Block dunkler, verbarrikadierte, mit Reklameblättern gepflasterte Türen, Graffiti überall dort, wo ein Teenager mit seiner Sprühdose heranreicht. Die Müllabfuhr streikt mal wieder, Abfallberge faulen in der Sonne. Pfandhäuser, namenlose Waschsalons und Lebensmittelläden fristen mit den letzten Kröten aus abgewetzten Hosentaschen ein kümmerliches Dasein. Ein paar Blocks und Straßenlaternen weiter weichen die Läden anonymen Produktionsstätten und Unterkünften für Bedürftige. Luisa ist noch nie in dieser Gegend gewesen, und die Unergründlichkeit von Städten verunsichert sie. Wollte Sixsmith erst
Weitere Kostenlose Bücher