Der Wolkenatlas (German Edition)
möchte ich ein großes, prasselndes Feuer entfachen und den alten Schweinehund mitten hinein werfen.
Ungefähr eine Woche später
Noch hier. J. kam später zu mir, schwafelte von Ayrs’ Stolz, wie sehr er meine Arbeit schätze, Künstlerlaunen usw., aber ich solle bitte, bitte bleiben, wenn nicht ihm, dann wenigstens ihr zuliebe. Nahm den stellvertretend überbrachten Strauß aus Feigenblatt und Ölzweig an, und unser nächtliches Liebesspiel war beinahe zärtlich. Der Winter naht, und einer Abenteuerreise durch Europa sehe ich mich angesichts meiner kümmerlichen Ersparnisse nicht gewachsen. Wenn ich jetzt ginge, müßte ich blitzschnell eine dumme, reiche Erbin kennenlernen. Fällt Dir vielleicht eine ein? Werde Dir noch ein Paket für Jansch schicken, zum Aufstocken meiner Notreserve. Wenn Ayrs meinen Beitrag zum Todtenvogel – erlebt seit Krakau schon die zwanzigste Aufführung – nicht honorieren will, muß ich mich eben selbst entschädigen. Werde mich in Zukunft davor hüten, Ayrs meine Kompositionen zu zeigen. Es ist ein wirklich abscheuliches Dasein, wenn es vom Wohlwollen des eigenen Arbeitgebers abhängt, ob man ein Dach über dem Kopf hat. Nur Gott weiß, wie die dienende Klasse das aushält. Müssen sich die Domestiken der Frobishers auch ständig auf die Zunge beißen?
Eva zurück vom Sommer in der Schweiz. Nun ja, die junge Frau behauptet zumindest, Eva zu sein, und die Ähnlichkeit ist zweifellos frappierend, doch aus dem rotznäsigen Entlein, das Zedelghem vor zwei Monaten verließ, ist ein höchst anmutiger Schwan geworden. Sie hilft ihrer Mutter, betupft die Lider ihres Vater mit feuchten Wattebäuschen und liest ihm stundenlang Flaubert vor, ist höflich zu den Dienstboten und erkundigt sich sogar, wie es mit meinem Sextett vorangehe. Vor einer Woche vermutete ich noch eine neue Taktik, um mich zu vertreiben, doch inzwischen habe ich den leisen Verdacht, das Ekel E. könnte ein für allemal passé sein.
Also gut, hinter dem Waffenstillstand zwischen E. u. mir steckt mehr, als sich auf den ersten Blick vermuten läßt, aber dazu muß ich weiter ausholen. Schon seit meiner Ankunft in Neerbeke löcherte Mme. van de Velde, Evas «Wirtin» in Brügge, E. u. J., ich solle der Familie einen Besuch abstatten, damit ihre fünf Töchter – E.s Schulkameradinnen – ihr Englisch an einem echten Gentleman ausprobieren könnten. M. van de Velde ist, Du erinnerst Dich, der vermeintliche Lebemann aus dem Minnewater Park, der sich als Munitionsfabrikant und ehrenwerte Stütze der Gesellschaft usw. entpuppt hat. Mme. van de Velde ist eine jener enervierend hartnäckigen Damen, die sich durch ein «Er ist zur Zeit sehr beschäftigt» nicht von ihren Zielen abbringen lassen. Fast will es sogar scheinen, als habe J. dieses Fait accompli aus reiner Bosheit geschaffen – während die Tochter zum Schwan wird, verwandelt sich die Mutter in eine häßliche alte Saatkrähe.
Heute war der Tag, an dem ich bei den van d. V.s zum Mittagessen eingeladen war – fünf Töchter in gleichmäßigem Altersabstand plus Mater und Pater. Brauchte ohnehin einen neuen Satz Cellosaiten, und da es Ayrs nicht schaden kann zu sehen, wie hilflos er ohne mich ist, setzte ich eine tapfere Miene auf und hoffte, die v. d. V.s beschäftigen einen Koch, der dem Einkommen eines Fabrikanten angemessen ist. Um elf Uhr fuhr der Wagen der van de Veldes – ein silberner Mercedes Benz! – vor dem Schloß vor, und der Chauffeur, ein transpirierender Yeti ohne Hals und Französischkenntnisse, brachte E. und mich nach Brügge. Früher hätte zwischen uns eisiges Schweigen geherrscht, doch heute erzählte ich E. plötzlich von meiner Zeit in Cambridge. E. warnte mich, die älteste van de Velde, Marie-Louise, habe sich in den Kopf gesetzt, um jeden Preis einen Engländer zu heiraten, weshalb ich meine Keuschheit sorgsamst hüten müsse.
Na, wie gefällt Dir das?
Als wir bei den van de Veldes eintrafen, standen die Mädchen auf der Treppe wie die Orgelpfeifen – rechnete ½ damit, sie würden ein Lied anstimmen, und, mich laust der Affe, Sixsmith, genau das taten sie. Greensleeves auf englisch. Zuckersüß. Mrs. v. d. Velde zwickte mich in die Wange, als wäre ich ein heimgekehrter Ausreißer, und begrüßte mich mit einem eulenhaften «How do you do-ooo?» . Wurde in den «Salon» geführt – ein Kinderzimmer – und auf den «Verhörstuhl» gesetzt, eine Spielzeugkiste. Die v. d. V.-Töchter sind eine Hydra mit den Köpfen Marie-Louise,
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