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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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wissenschaftlichem Ausdruck zweitausend Leser das Heft weglegen und sich lieber eine Wiederholung von I Love Lucy ansehen.»
    «Na schön», sagt Luisa. «Wie wär’s mit ‹Seaboard-Atombombe löscht Buenas Yerbas aus!›?»
    «Phantastisch, aber das müssen Sie beweisen.»
    «So wie Jake seine Story beweisen muss?»
    «Hey.» Grelschs Bleistift steht still. «Erfundene Personen, die von erfundenen Fischen gefressen werden, können uns weder vor Gericht den letzten Dollar aus der Tasche ziehen noch dafür sorgen, dass die Bank uns den Hahn zudreht. Ein dicker Konzern wie Seaboard Power verfügt dagegen über Anwälte, die das können, und sobald Sie, Gott bewahre, den kleinsten Fehler machen, werden Sie genau das tun.»
     
    9
     
    Luisas orangebrauner VW Käfer fährt auf die kilometerlange Brücke zu, die Kap Yerbas mit Swannekke Island und dem Kraftwerk verbindet, das hinter der einsamen Flussmündung aufragt. Heute geht es am Brückenkontrollpunkt alles andere als ruhig zu. Eine hundertköpfige Demonstrantenschar säumt den letzten Abschnitt und skandiert: «Swannekke C nur über unsere Leichen!» Eine Polizeikette schirmt die neun oder zehn wartenden Autos ab. Luisa liest die Spruchbänder. SIE BETRETEN JETZT DIE KREBSINSEL , warnt eines, ein anderes verkündet: NEIN, IHR KRIEGT UNS NICHT KLEIN!, und ein drittes stellt die rätselhafte Frage: WO STECKT MARGO ROKER?
    Ein Wachmann klopft an ihr Fenster; Luisa kurbelt die Scheibe runter und sieht in seiner Sonnenbrille ihr Gesicht. «Luisa Rey, Spyglass Magazine .»
    «Ihren Presseausweis, bitte.»
    Luisa zieht ihn aus der Handtasche. «Glauben Sie, es gibt noch Ärger?»
    «Nö.» Er sieht auf seinem Clipboard nach und gibt ihr den Ausweis zurück. «Nur die üblichen Umweltfuzzis aus dem Trailerpark. Die Studenten haben sich irgendwohin verzogen, wo sie besser surfen können.»
    Während sie über die endlos lange Brücke fährt, taucht hinterden älteren grauen Kühltürmen von Swannekke A das Swannekke-B-Werkauf. Rufus Sixsmith geht ihr nicht aus dem Kopf. Warum hat er mir seine Nummer nicht gegeben, als ich ihn darum bat? Ein Wissenschaftler wird wohl kaum unter Telephobie leiden. Warum kannte bei der Hausverwaltung niemand seinen Namen? Wissenschaftler benutzen keine Decknamen.
    Der Wachposten am Inselkontrollpunkt erklärt ihr den Weg über die einzige Straße zum Seaboard Village. Von dort soll sie der Ausschilderung zum Besucherzentrum im R-&-D-Abschnitt folgen.
    Die Straße verläuft dicht an der Küste. Über den Fischerbooten auf dem Meer kreisen Möwen. Das Dünengras wiegt sich im Wind. Nach zehn Minuten erreicht Luisa eine Siedlung aus gut zweihundert Luxushäusern mit Blick auf eine geschützte Bucht. Auf dem teils bewaldeten Hang unter dem Kraftwerk befinden sich ein Hotel und ein Golfplatz. Sie stellt den Käfer auf dem Parkplatz der R-&-D-Abteilung ab und betrachtet den abstrakten Bau, der halb versteckt hinter der Bergkuppe liegt. Eine geordnete Reihe Palmen raschelt im Pazifikwind.
    «Hallo!» Eine Frau chinesischer Abstammung kommt auf sie zu. «Sie wirken ein wenig verloren. Zur Einweihung hier?» Gegen ihren flotten, ochsenblutroten Hosenanzug, das perfekte Make-up und das souveräne Auftreten kommt Luisa sich in ihrem heidelbeerblauen Samtblazer armselig vor. «Fay Li», die Frau gibt ihr die Hand, «Seaboard-Öffentlichkeitsarbeit.»
    «Luisa Rey, Spyglass Magazine .»
    Fay Li hat einen kräftigen Händedruck. «Vom Spyglass ? Ich wusste gar nicht …»
    «… dass Energiepolitik zu unseren Themen gehört?»
    Fay Li lächelt. «Verstehen Sie mich nicht falsch, Ihre Zeitschrift hat Biss.»
    Luisa beruft sich auf Dom Grelschs göttliche Instanz. «Laut Umfragen steigt die Zahl der Leser, die nach anspruchsvollen Inhalten verlangen. Das Spyglass hat mich als intellektuelles Gesicht engagiert.»
    «Ich freue mich sehr, dass Sie hier sind, Luisa, ob intellektuell oder nicht. Ich werde Sie am Empfang anmelden. Der Sicherheitsdienst besteht darauf, die Taschen und so weiter zu durchsuchen, aber wir wollen unsere Gäste auf keinen Fall wie Saboteure behandeln. Deshalb wurde ich engagiert.»
     
    10
     
    Joe Napier sitzt vor einer Wand mit Fernsehmonitoren, die einen Vortragsraum, die angrenzenden Korridore und das Besucherzentrum überwachen. Er steht auf, schüttelt sein Gesundheitskissen aus und setzt sich wieder. Tun meine alten Wunden in letzter Zeit mehr weh, oder bilde ich mir das nur ein? Sein Blick huscht über die Monitore. Einer zeigt

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