Der Wolkenatlas (German Edition)
begrüßen, der unsere Aussichtsgalerie enthüllen und den Schalter betätigen wird, der Swannekke B an das landesweite Versorgungsnetz anschließt. Auf dem Capitol Hill nennt man ihn den ‹Energieguru› des Präsidenten» – breites Lächeln –, «heißen Sie mit mir einen Mann willkommen, der keiner Vorstellung bedarf. Energieminister Lloyd Hooks!»
Ein überaus gepflegter Mann betritt unter tosendem Applaus die Bühne. Lloyd Hooks und Alberto Grimaldi fassen einander in brüderlich-zärtlicher, vertrauensvoller Geste an den Unterarm. «Ihre Drehbuchautoren machen Fortschritte», murmelt Lloyd Hooks, während beide breit ins Publikum grinsen, «aber Sie sind und bleiben die personifizierte Raffgier.»
Alberto Grimaldi klopft Lloyd Hooks freundschaftlich auf die Schulter. «Sie drängeln sich nur über meine Leiche in die Konzernleitung, Sie korrupter Schweinehund!»
Lloyd Hooks strahlt ins Publikum. «Dann sind Sie also doch zu kreativen Lösungen fähig, Alberto.»
Ein Heer von Blitzlichtern eröffnet das Feuer.
Eine junge Frau in heidelbeerblauem Blazer schlüpft durch einen Hinterausgang.
12
«Zur Damentoilette, bitte?»
Ein in sein Walkie-Talkie sprechender Wachmann zeigt den Gang hinunter.
Luisa Rey blickt sich um. Der Wachmann dreht ihr den Rücken zu. Sie geht an der Toilette vorbei, biegt um die nächste Ecke und gelangt in ein Labyrinth aus kühlen Gängen. Nur das gedämpfte Surren der Klimaanlage ist zu hören. Zwei Techniker in Blaumännern und mit tief ins Gesicht gezogenen Mützen eilen auf sie zu. Sie starren ihr auf die Brüste, lassen sie jedoch ungehindert passieren. Die Türen sind mit kryptischen Zeichen versehen. W212 HALBDURCHLASS, Y009 NOTDURCHLÄUFE [AC], V770 GEFAHRLOS [FREI]. Vereinzelte Türen sind über einen Zugangscode gesichert. In einem Treppenhaus studiert sie den Raumplan, aber er gibt keinerlei Hinweis auf einen «Sixsmith».
«Verlaufen, junge Frau?»
Luisa bewahrt mit Mühe die Gelassenheit. Ein schwarzer Hausmeister mit silbergrauem Haar starrt sie an.
«Ja, ich möchte zu Dr. Sixsmith.»
«Mhh. Der Engländer. Dritter Stock. C105.»
«Danke sehr.»
«Der war schon seit ein, zwei Wochen nicht mehr hier.»
«Tatsächlich? Wissen Sie, warum?»
«Mhh. Urlaub in Las Vegas.»
«Dr. Sixsmith? In Vegas?»
«Mhh. Hat man mir jedenfalls gesagt.»
Die Tür zu Raum C105 steht einen Spaltbreit offen. Vor kurzem hat jemand schlampig den Versuch unternommen, die Aufschrift «Dr. Sixsmith» vom Namensschild zu entfernen. Durch den Türspalt sieht Luisa Rey einen jungen Mann, der über einen Stapel Notizhefte gebeugt auf dem Schreibtisch sitzt. Er sucht etwas. Sämtliche Bürounterlagen sind in Seemannskisten verpackt. Luisa erinnert sich an die Worte ihres Vaters: Sich wie ein Insider zu verhalten genügt manchmal schon, um einer zu sein.
«Also», sagt Luisa und tritt ein, «Dr. Sixsmith sind Sie jedenfalls nicht.»
Der Mann lässt schuldbewusst das Notizheft fallen, und Luisa weiß, dass sie ein bisschen Zeit gewonnen hat. «O Gott», sagt er und starrt sie an, «Sie müssen Megan sein.»
Wozu widersprechen? «Und Sie sind?»
«Isaac Sachs. Forschungsingenieur.» Er steht auf und zieht seine voreilig ausgestreckte Hand wieder zurück. «Ich habe mit Ihrem Onkel an seinem Bericht gearbeitet.» Eilige Schritte hallen durchs Treppenhaus. Isaac Sachs schließt die Tür. Er spricht mit nervöser, gedämpfter Stimme. «Wo hält Rufus sich versteckt, Megan? Ich bin schon ganz krank vor Sorge. Haben Sie etwas von ihm gehört?»
«Ich dachte, Sie könnten mir sagen, was passiert ist.»
Fay Li marschiert mit dem stoischen Wachmann herein. «Luisa. Immer noch auf der Suche nach der Damentoilette?»
Stell dich dumm . «Nein. Auf der Damentoilette war ich schon – sehr sauber übrigens –, aber ich bin zu spät zu meiner Verabredung mit Dr. Sixsmith gekommen. Obwohl … hm, wie es aussieht, ist er gar nicht mehr hier.»
Isaac Sachs macht ein verdutztes Gesicht. «Was, Sie sind gar nicht Sixsmiths Nichte?»
«Entschuldigung, aber das habe ich nie behauptet.» Luisa tischt Fay Li eine vorbereitete Halbwahrheit auf. «Ich habe Dr. Sixsmith letztes Frühjahr auf Nantucket kennen gelernt. Als wir feststellten, dass wir beide aus Buenas Yerbas sind, gab er mir seine Karte. Vor drei Wochen habe ich sie zufällig ausgegraben und rief ihn an. Wir hatten uns für heute verabredet, um uns über eine Wissenschaftsreportage für das Spyglass zu
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