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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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unterhalten.» Sie sieht auf die Armbanduhr. «Vor zehn Minuten. Die Festreden zogen sich länger hin, als ich erwartet hatte, deshalb habe ich mich leise davongemacht. Ich hoffe, ich habe keine Schwierigkeiten verursacht?»
    Fay Li gibt sich überzeugt. «Leider können wir Unbefugten nicht gestatten, in einem so sensiblen Bereich unseres Forschungsinstituts herumzuspazieren.»
    Luisa gibt sich zerknirscht. «Ich dachte, mit der Anmeldung und dem Durchsuchen meiner Tasche wären alle Sicherheitsvorschriften erfüllt, aber das war wohl naiv von mir. Dr.   Sixsmith wird sicher für mich bürgen. Fragen Sie ihn einfach.»
    Sachs und der Wachmann sehen Fay Li an, die keine Sekunde zögert. «Das wird nicht möglich sein. Eines unserer kanadischen Projektteams benötigte dringend Dr.   Sixsmiths Hilfe. Vermutlich wusste seine Sekretärin nicht, wo Sie zu erreichen sind, als sie seine Termine absagte.»
    Luisa betrachtet die Kisten. «Sieht so aus, als würde er eine ganze Weile fortbleiben.»
    «Ja, deshalb senden wir ihm seine Unterlagen nach. Seine Beratertätigkeit auf Swannekke näherte sich ohnehin dem Ende. Dr.   Sachs hat sich wacker geschlagen, die noch ausstehenden Arbeiten zu erledigen.»
    «Tja, das war’s dann wohl, was mein erstes Interview mit einem berühmten Wissenschaftler angeht», sagt Luisa.
    Fay Li hält ihr die Tür auf. «Vielleicht finden wir einen Ersatz für Sie.»
     
    13
     
    «Vermittlung?» Rufus Sixsmith sitzt in einem Motel außerhalb von Buenas Yerbas und presst den Telefonhörer an sein Ohr. «Ich bekomme keine Verbindung nach Hawaii … ja. Ich habe es mehrfach versucht …» Er liest Megans Nummer vor. «Ja, bitte. Ja, ich bleibe beim Apparat.»
    Der Fernseher, dem die Grün- und Gelbtöne fehlen, zeigt Bilder von der Einweihung des neuen HYDRA-Reaktors. Lloyd Hooks klopft Alberto Grimaldi auf die Schulter. Sie feiern das Saalpublikum wie konkurrierende Sportler, von der Decke rieselt silbernes Konfetti. «Alberto Grimaldi», sagt ein Reporter, «der als streitlustiger Stratege bekannte Seaboard-Chef, gab heute bekannt, dass dem Bau von Swannekke C nichts mehr im Wege steht. In den zweiten HYDRA-Zero-Reaktor werden fünfzig Millionen Dollar an Bundesmitteln fließen, und viele tausend neue Arbeitsplätze werden entstehen. Befürchtungen, es könnte in Kalifornien zu ähnlichen Massenverhaftungen kommen wie im Sommer auf Three Mile Island, bewahrheiteten sich nicht.»
    Rufus Sixsmith wendet sich müde und ernüchtert dem Fernseherzu. «Und was geschieht, wenn sich Wasserstoff bildet und das Dachder Schleuse in die Luft fliegt? Wenn der stetige Wind Kalifornienmit radioaktivem Niederschlag verseucht?» Er stellt den Apparataus und kneift sich in die Nase. Ich habe es bewiesen. Ich habe es bewiesen. Ihr konntet mich nicht kaufen, also habt ihr es mit Einschüchterung versucht. Und ich, Gott vergib mir, habe mich einschüchtern lassen. Aber damit ist jetzt Schluss. Ich sitze nicht länger auf meinem Gewissen.
    Das Telefon klingelt. Sixsmith greift zum Hörer. «Megan?»
    Eine schroffe Männerstimme. «Sie kommen.»
    «Wer spricht da?»
    «Ihr letzter Anruf wurde zum Talbot Motel, 1046 Olympia Boulevard zurückverfolgt. Fahren Sie sofort zum Flughafen, nehmen Sie das nächste Flugzeug nach England und machen Sie Ihre Enthüllungen meinetwegen von dort aus publik. Aber gehen Sie.»
    «Warum sollte ich Ihnen glauben …»
    «Benutzen Sie Ihren Verstand. Wenn ich lüge, landen Sie sicher auf englischem Boden – mit Ihrem Bericht. Lüge ich nicht, sind Sie tot.»
    «Sagen Sie mir endlich …»
    «Sie haben zwanzig Minuten. Höchstens. Gehen Sie! »
    Das Freizeichen, ein unendliches Summen.
     
    14
     
    Jerry Nussbaum pflanzt sich rittlings auf seinen Bürostuhl, verschränkt die Arme über der Lehne und legt sein Kinn ab. «Das müsst ihr euch mal vorstellen, Leute, ich, sechs Rastatypen negroider Bauart und eine Pistole, die meine Mandeln kitzelt. Und zwar nicht um Mitternacht in Scheiß-Harlem, nein, verdammt, wir reden hier von Greenwich Village am helllichten Tag, nachdem ich mit Norman Mailer ein Fünfzehn-Pfund-Steak verdrückt hatte. Der schwarze Bruder filzt mich also mit seiner zweifarbigen Pranke und erleichtert mich um meine Brieftasche. ‹Was is’n das für ’n Scheiß? Kroko leder?›» Nussbaum macht Richard Pryors Akzent nach. «‹Keine Klasse, Whitey!› Klasse? Die Wichser haben mich buchstäblich bis auf den letzten Cent ausgeraubt. Aber Nussbaum hat zuletzt

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