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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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gelacht, darauf könnt ihr einen lassen. Auf der Taxifahrt zurück zum Times Square habe ich meinen inzwischen legendären Leitartikel ‹Die neuen Stämme› geschrieben und ihn – kein Grund zu falscher Bescheidenheit – bis zum Wochenende sage und schreibe dreißigmal verkauft! Dank dieser Straßenräuber ist mein Name jetzt in aller Munde. Na, Luey-Luey, wie wär’s, wenn du mich zum Essen einlädst, dann zeig ich dir mal, wie man dem ‹Giftzahn des Schicksals› ein bisschen Gold abquetscht.»
    Luisas Schreibmaschine klingelt. «Wenn sie dich buchstäblich bis auf den letzten Cent ausgeraubt haben – wie konntest du dir dann ein Taxi zum Times Square leisten? Hast du deinen Körper verkauft?»
    Nussbaum verlagert seinen massigen Leib. «Du hast ein echtes Talent, nicht zu kapieren, worum es geht.»
    Roland Jakes träufelt Kerzenwachs auf ein Foto. «Frage der Woche. Was ist ein Konservativer?»
    Im Sommer 1975 schon ein Witz mit langem Bart. «Ein Liberaler, der ausgeraubt wurde.»
    Jakes fährt beleidigt fort, sein Foto zu manipulieren.
    Luisa steht auf und geht zu Dom Grelschs Büro. Ihr Chef telefoniert mit gesenkter, erzürnter Stimme. Luisa wartet vor der Tür, hört aber alles mit. «Nein – nein, nein, Mr.   Frum, da gibt es nur entweder – oder, nennen Sie mir – stopp, jetzt rede ich – nennen Sie mir ein einziges ‹Leiden›, wo die Sache klarer liegt als bei Leukämie! Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, meine Frau ist nur eine lästige Akte zwischen Ihnen und Ihrem nachmittäglichen Golftermin. Nein? Dann beweisen Sie es mir. Sind Sie verheiratet, Mr.   Frum? Bitte? So, sind Sie. Dann stellen Sie sich vor, Ihre Frau liegt im Krankenhaus, und ihr fallen alle Haare aus … Was? Was war das? ‹Emotional zu werden hilft keinem weiter›? Mehr fällt Ihnen nicht dazu ein, Mr.   Frum? Tja, mein Freund, das sehen Sie verdammt richtig, ich werde mir einen Rechtsbeistand suchen!» Grelsch knallt den Hörer auf, drischt auf seinen Sandsack ein und keucht bei jedem Schlag «Frum!». Schließlich lässt er sich auf seinen Stuhl fallen, steckt sich eine Zigarette an und entdeckt Luisa, die zögerlich in der Tür steht. «Das Leben. Ein Scheißsturm der Stärke zehn. Haben Sie’s gehört?»
    «Das Wesentliche. Ich kann auch später wiederkommen.»
    «Nein. Kommen Sie rein und setzen Sie sich. Sind Sie jung und gesund, Luisa?»
    «Ja.» Luisa setzt sich auf einen Karton. «Warum?»
    «Weil meine ehrliche Meinung zu Ihrem völlig haltlosen Artikel über die Vertuschungen bei Seaboard eine alte, gebrechliche Frau aus Ihnen machen wird.»
     
    15
     
    Dr.   Rufus Sixsmith legt am Flughafen von Buenas Yerbas einen vanillegelben Ordner in Schließfach 909, blickt sich flüchtig in der überfüllten Halle um, wirft Münzen in den Schlitz, dreht den Schlüssel um und steckt ihn in einen wattierten braunen Umschlag, der an Luisa Rey, Spyglass , Klugh Bldg 12F, 3rd Avenue, BY adressiert ist. Er geht auf den Postschalter zu, und sein Puls beschleunigt sich. Was ist, wenn sie mich vorher kriegen? Sein Puls beginnt zu rasen. Geschäftsleute, Familien mit Gepäckwagen, Schlangen älterer Touristen, sie alle scheinen es darauf abgesehen zu haben, ihn am Fortkommen zu hindern. Der Briefkasten rückt bedrohlich näher. Nur noch wenige Meter, wenige Zentimeter.
    Der braune Umschlag wird vom Schlitz geschluckt. Viel Glück und gute Reise.
    Sixsmith stellt sich am Ticketschalter an. Die wiederholten Durchsagen über weitere Verspätungen lullen ihn ein. Er hält nervös Ausschau nach Seaboard-Agenten, die gekommen sind, um ihn in letzter Minute zu holen. Schließlich winkt ihn eine Angestellte an ihren Schalter.
    «Ich muss nach London. Oder jeden anderen Ort in Großbritannien. Fluggesellschaft und Klasse sind egal. Ich zahle bar.»
    «Keine Chance, Sir.» Die Schminke kann ihre Müdigkeit nicht verbergen. «Die früheste Möglichkeit wäre …», sie sieht auf einem Telex nach, «… London Heathrow … morgen, Abflug fünfzehn Uhr fünfzehn mit Laker Skytrains, Umsteigen in JFK.»
    «Es ist aber furchtbar wichtig, dass ich früher fliege.»
    «Das glaube ich gern, Sir, aber die Fluglotsen streiken, und wir haben jede Menge festsitzender Passagiere.»
    Sixsmith beruhigt sich damit, dass nicht einmal Seaboard über die Macht verfügt, einen Fluglotsenstreik anzuzetteln, um ihn an der Flucht zu hindern. «Dann bleibt es bei morgen. Einfacher Flug bitte, Business Class, Nichtraucher. Gibt es im Flughafen eine

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