Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
beachtet, was?«
»Quatsch.« Pen schwieg ein paar Sekunden lang, dann gab sie zu: »Na gut, okay, vielleicht hat er mich nach der Morgenandacht irgendwie ignoriert, aber – «
»Pen, wieso fragst du ihn nicht einfach, ob er sich mal mit dir treffen will – ich meine, schon klar, das wär ’ne ewige Schmach für deine Vorfahren und so. Aber dann hättest du das Ganze wenigstens hinter dir.«
»Hier geht’s nicht um Leon !«, protestierte Pen heftig. »Es ist nur – ›you saved my life‹ – im Ernst? Wer redet denn so davon, jemanden zu lieben? Die Liebe ist doch keine Heilsarmee und auch keine verschissene Telefonseelsorge, sie hat mit Lebenretten nichts zu tun. Bei der Liebe geht’s nicht darum, dass irgendwer unversehrt bleibt. Sie ist – « Pen brach ab, fuchtelte vor lauter Entrüstung wild mit den Händen.
Beth bedeutete ihr weiterzureden. Sie bekam nicht oft die Chance, ihrer Freundin dabei zuzuhören, wie sie vom Leder zog, und sie fand diese Tiraden eigentlich immer ganz unterhaltsam.
Doch Pen runzelte nur nachdenklich die Stirn, und statt zu sprechen, zog sie einen Filzstift aus der Tasche. Sie sprang von der Mauer und kritzelte auf die Backsteine:
Der, den du liebst, ist der, der dich bricht,
Dem du dich verdankst, von dem du sagst: mein,
Der dich in Stücke schlägt und neu erricht’
Als krummes, gebrochnes Gebein.
»Sie ist eher so«, sagte sie schließlich matt.
Beth las es und brach prompt in schallendes Gelächter aus. »Ist ja echt aufmunternd. Pen, wenn du dich wegen Leon so fühlst – «
»Es geht hier nicht um Leon «, hatte Pen beharrt, und ihr Ton war unnachgiebig gewesen. Sie war dunkelrot angelaufen und hatte Beths Blick gemieden. Erst jetzt wurde Beth klar, dass sie damals einfach hätte aufhören sollen zu lachen.
Beths Erinnerungen wanderten ins Büro der Rektorin, zu Pen, die eigenen Arme um sich geschlungen, als wären diese Arme alles, was sie noch zusammenhielt. Als hätte irgendwer sie in Stücke geschlagen und als brauchte sie nun jemanden, der sie neu errichtete.
Doch Beth war so voller Zorn gewesen, dass sie es nicht einmal versucht hatte.
Sie schüttelte heftig den Kopf, um sich wieder ins Hier und Jetzt zu bringen, in diese Herbstnacht, zu ihrem Regiment aus glühenden Glassoldaten. Zu ihrem Krieg.
Beth wandte sich zu Fil um. »Mein bester Kumpel hat das geschrieben.« Sie war ein wenig überrascht über die Tränen, die sie fortschniefte. »Es heißt nicht ›ein‹. Es ist der Schluss von einem Gedicht, es heißt … «
Aber er hörte gar nicht mehr hin, sondern blickte an ihr vorbei, und das taten auch alle anderen.
Eine hochgewachsene Gestalt kam auf sie zu, lief mitten auf der verlassenen Straße, vorbei an den menschenleeren Restaurants und den Schaufenstern voll bunter Schuhe mit kilometerhohen Absätzen. Ihr Gang war ein eigenartiges regelmäßiges Taumeln, so als wäre das eine Bein viel kürzer als das andere. Wieder und wieder lösten sich Dinge aus ihrem Leib, fielen zu Boden; sie zog eine Spur aus Abfällen hinter sich her, schien den Müll einfach abzuwerfen. Die Gestalt war zu weit entfernt, als dass Beth sie genau hätte erkennen können, vor allem mit dem Gleißen der Weißhells vor den Augen, doch der Geruch …
Beth sah Fil an. Seine Nasenlöcher zuckten, während das Aroma von fauligem Obst und Schimmel die Straße heraufwehte. Er blickte unverwandt auf die Mannsgestalt, die jetzt ins Licht stapfte. Beth schluckte hart; sie hatte dieses Wesen nie zuvor zu Gesicht bekommen, und doch wusste sie sofort, wer es war.
»Filius.« Die Stimme des Mannes aus Müll war schwach, hervorgepresst aus einer löchrigen Fußballlunge. »Ich bin sehr stolz auf dich.« Gossenglas wankte zwei weitere Schritte vorwärts, dann schoben sich seine Lippen übereinander, sodass sein Kiefer wie ausgerenkt wirkte. Eine Eierschale rutschte aus seiner Augenhöhle. Sein Körper löste sich auf, vom Kopf abwärts, zerfiel zu einem Haufen Müll auf dem Asphalt.
Kapitel 22
Längs über Dächer aus Schiefer, dann steinerne Zinnen hinauf,
Befiehlt mein Herr dich zu sich, lauflauflauf!
Hinüber zum Feld der Trümmer, wo Maschinen der Toten Pflüge sind,
Dein fleischiger Leib durch die Risse, geschwindwindwind!
Erklimme den Turm, küsse das Glas,
Brich das Holz und versenge das Gras.
Karge Schönheit, genieße die Sicht,
Kräne errichten, tun ihre Pflicht.
Pens Finger löste sich von der Wand, der metallene Widerhaken an seiner Spitze war staubbedeckt. Sie
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