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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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Stadt sehen konnte –
    – und dann ist Mater Viae gekommen und hat sich draufgesetzt .«
    Er kicherte. »Und glaub’s ruhig, die Botschaft ist angekommen. Keine spitzfindigen Ketzereien mehr. Bruder Archibald und seinen Apostaten des Steins blieb die Spucke weg. Für mehr als eine Dekade hat niemand auch nur ein böses Wort mehr über das Alte Mädchen verloren.«
    Das Leuchtfeuer blinkte auf und erhellte sein schelmisches Grinsen. »Willst du mal Probe sitzen?«
    Beth erhob sich gemächlich, blickte hinauf zu diesem riesigen leeren Sessel auf dem Dach der Stadt. »Dürfen wir denn – du weißt schon –, ist das erlaubt ?«
    Der Thron bot mehr als genug Platz für sie beide. Sie setzten sich nebeneinander, Beth mit gekreuzten Beinen, Fil rücklings auf die Ellbogen gestützt. Die Dunkelheit verwandelte London in eine Ansammlung von sich verschiebenden Quadraten aus Licht, ein Puzzle, das darauf wartete, gelöst zu werden. Die Schönheit der Stadt war chaotisch, aber dennoch nicht weniger rein. Beth versenkte sich in den Ausblick, ihre überanstrengten Muskeln erschlafften. Sie war begeistert, zugleich melancholisch und sehnsüchtig und hingerissen und … Ihr fehlten die Worte für dieses Gefühl, doch sie wusste, dass sie es nie vergessen würde.
    »Beth, was ist los?« Fil klang beunruhigt.
    »Was soll los sein?«
    »Du weinst.«
    Beth fuhr sich über die Wange und erschrak ein wenig, als sie etwas Nasses spürte. Ihre Tränen rochen nach Kreide. Sie wischte sie ab und lächelte traurig. »Ich hab an Pen gedacht.«
    »Pen?«
    »Meine beste Freundin.« Sie musterte sein schmales betonfarbenes Gesicht mit leisem Erstaunen. Hatte sie ihm wirklich nie von Pen erzählt? »Unzertrennlich haben sie uns genannt«, fuhr sie fort, »so als wär’s was ganz Normales. So als wär’s kein verdammtes Wunder, jemanden gefunden zu haben, der dir an der Art, wie du deinen Mantel zuknöpfst, sofort ansieht, dass du ’n gebrochenes Herz hast.« Sie schickte eine Atemwolke in die kalte Nachtluft. »Ich könnte niemals Worte dafür finden, wie ich mich jetzt grade fühle, nicht mal in hundert Jahren. Aber mit Pen bräuchte ich das auch gar nicht. Sie würd’s einfach wissen.«
    »Wie seid ihr euch so nahgekommen?«, fragte er.
    »Keine Ahnung – ich schätze, wenn ich’s erklären könnte, wär’s ja kein Wunder mehr.«
    Er lächelte, vielleicht etwas traurig. »Hört sich an, als wärst du in sie verliebt gewesen.«
    Beth schloss die Augen, rief sich Pens Gesicht in Erinnerung. »Bei ihr hab ich mich mutig gefühlt.«
    »Was?« Er schien ratlos. »Mutig bist du doch eh, hirnrissig mutig sogar – selbstmörderisch mutig, sonst wärst du ganz sicher nicht hier.«
    Beth war gerührt von seiner Verwirrung. »Nee«, sagte sie, »ich war bloß nie clever genug, um so richtig Angst zu haben. Aber wie kann ich mutig sein, wenn ich nie genug Angst habe? Pen hat immer gesagt: ›Nur die Menschen, die du liebst, vermögen dir solche Todesangst einzujagen, dass du wahrhaft mutig sein kannst.‹ Erst hab ich geglaubt, das wär ein Zitat, aber wie ich sie kenne, hat sie es sich wahrscheinlich selbst ausgedacht. Sie hatte Angst vor allem, besonders vor der Höhe, und trotzdem ist sie mit mir auf jedes Dach geklettert.«
    Beth ließ ihre Hand über die lärmende Nacht unter ihnen schweifen. »Einmal waren wir nachts zum Sprayen auf einem Dach in Camberwell. Es hatte geregnet, und die Schieferplatten waren ganz nass und glänzten so sehr, dass der Mond sich in ihnen spiegelte, es war wunderschön … « Beth merkte, wie die Erinnerung ihr den Hals zuschnürte. »Aber es war ziemlich glatt, und Pen ist abgestürzt.« Sie rieb die Fingerspitzen aneinander; noch immer konnte sie zwischen ihnen die Seide von Pens Hidschab fühlen, als sie verzweifelt versucht hatte, ihre beste Freundin daran festzuhalten.
    »Thems!« , fluchte Fil. »Sie ist tot ?«
    »Gott und deiner Mutter sei Dank, nein. Da gab’s noch ’n anderes Dach, ungefähr zwei Meter tiefer. Sie hat sich nicht mal den Knöchel verstaucht.« Beth schnaubte. »War ’n astreines Happy End. Aber für eine Sekunde, die längste Sekunde meines Lebens, hab ich geglaubt, ich hätte sie verloren. Noch nie und seitdem nie wieder hatte ich so große Angst. In diesem einen Herzschlag gab es genug Einsamkeit für ein ganzes Leben. Nichts auf der Welt war mir so wichtig wie sie, und ich hab geglaubt, ich hätte sie verloren – und das Schlimmste daran war, dass sie sich ja gar nicht erst auf

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