Der Wolkenpavillon
Mannschaft unter Deck die Ruderbänke besetzt hatte. Das Boot entfernte sich langsam vom Ufer.
»Ich erledige das«, rief Hirata Sano zu, als die Wachen an Bord sich auf sie stürzten. »Kümmert Ihr Euch um die Gemahlin des Shōgun!«
Sano packte den Bootsbesitzer vorn am Kimono und drückte ihm die Schwertklinge an die Kehle. »Wo ist die Frau?«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet!«
Sano schleuderte den Mann mitten in das Kampfgetümmel hinein, das zwischen den Wachen und Hirata entbrannt war. Als das Boot immer schneller den Fluss hinunterglitt, wurde es von den Gästen in den Teehäusern am Ufer neugierig beobachtet. Sano sah, wie Marume und Fukida dem Boot hinterherschwammen, während er selbst versuchte, die Schiebetür zur Kabine zu öffnen, die sich eigenartig schwer anfühlte. Er sah, dass die Tür im Rahmen hing, aber dass sie von innen abgeschlossen war. Sano schob, so fest er konnte. Das Schloss zerbrach mit lautem Krachen, und er sprang in die Kabine.
Mattes silbriges Licht umhüllte ihn. Er hörte Grunzen, Schreie und Rascheln, doch die Geräusche verstummten rasch. Der Boden fühlte sich seltsam weich an, als wäre er mit Kissen ausgelegt. Als das Boot sich leicht zur Seite neigte, glitt die Tür zu, und Sano fand sich in einer Welt gespenstischer Stille wieder. Beunruhigt legte er die Hand um den Schwertgriff. Als er den Blick in die Runde schweifen ließ, sah er, weshalb er von draußen kein Geräusch wahrgenommen hatte.
Wände und Fußboden, Decke und Fenster der Kabine waren mit grauem Stoff gepolstert, der silbern schimmerte im Licht einer Lampe aus Eisen, die von der Decke hing. Der Stoff war an vielen Stellen zerrissen und hing in Fetzen herab. Weiße Baumwolle quoll heraus, sodass man den Eindruck hatte, als würde man über ein graues, aufgewühltes Meer fahren oder am sturmgepeitschten Himmel dahintreiben, inmitten wirbelnder Wolken und grauem Nebel.
Das hier war der Wolkenpavillon.
Hier war Chiyo vergewaltigt worden. Genauso hatte sie Reiko ihre Umgebung beschrieben. Das seltsame Dekor, dazu die Wirkung der Drogen, erklärten Chiyos eigentümliche, albtraumhafte Erinnerungen. Die Kabine war deshalb so ausgestattet worden, damit kein Laut nach außen drang.
Sano atmete tief durch.
Da hörte er jemand anders heftig und keuchend atmen.
Er war nicht allein.
Die Schleier aus zerrissenem Stoff, die von der Decke hingen, verdeckten teilweise den Blick auf ein bizarres Schauspiel, ein seltsames Bild, das sich in einer Ecke der Kabine bot. Ein nackter Mann mit kahl rasiertem Kopf lag dort bäuchlings auf einer Matratze, die muskulösen Beine leicht gespreizt, sich mit den Händen abstützend. Sein Gesicht war Sano zugewandt. Er rührte sich nicht, als könnte er durch Bewegungslosigkeit Sanos Aufmerksamkeit entgehen. In seinen Augen, in denen sich das silbrige Licht des Wolkenpavillons spiegelte, schimmerten Wollust und Furcht.
Der Mann war Joju.
Unter ihm lag der nackte, ausgemergelte Körper einer alten Frau. Sie lag auf dem Rücken, ihr Kopf wurde von einem Tuch verdeckt. Unter ihrem Körper und den dürren Gliedmaßen schimmerte es tiefrot. Lag die Frau in einer Lache ihres eigenen Blutes? Sano stockte der Atem, denn er befürchtete, dass Joju die Gemahlin des Shōgun ermordet hatte. Doch als er näher kam, stöhnte die alte Frau und bewegte sich schwach. Sano erkannte zu seiner Erleichterung, dass die vermeintliche Blutlache ein leuchtend roter Umhang aus Brokat war, auf dem die Frau lag.
»Steht auf, Joju!«, sagte Sano mit kalter Stimme. »Zieht Euch an! Ihr seid verhaftet.«
Der Geisteraustreiber stemmte sich hoch. Sano bemerkte, dass Joju sich bewusst war, in welch schrecklicher Lage er sich befand, und dass er fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, seinen Hals zu retten.
Langsam löste Joju sich von seinem Opfer.
Sano schauderte, als er sah, dass er zu spät gekommen war.
Der Geisteraustreiber hatte die Frau bereits vergewaltigt. Blut und Sperma tropften von seinem Glied, als er es zwischen den gespreizten Beinen der Frau hervorzog.
Sie stöhnte leise unter dem Tuch, das über ihrem Kopf lag. Offenbar hatte Joju sie mit den gleichen Drogen betäubt wie Chiyo, Fumiko und die Nonne.
Der Geisteraustreiber hob seine orangerote Robe vom Boden auf und streifte sie sich über. »Warum wollt Ihr mich verhaften?«, fragte er. Offenbar hatte er den ersten Schock überwunden. »Weil ich mit einer nicht angemeldeten Prostituierten geschlafen habe?« Er lachte sein
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