Der Wolkenpavillon
übermütiges Lachen, doch diesmal klang es bemüht. »Das ist bloß ein geringfügiges Vergehen. Ich werde mit einer Geldstrafe davonkommen, und mein Ruf wird nicht darunter leiden. Ihr verschwendet Eure Zeit.«
Sano ließ sich nicht beirren. »Ich verhafte Euch wegen Vergewaltigung der Gemahlin des Shōgun und wegen Beteiligung an ihrer Entführung. Dafür wird man Euch hinrichten.« Sano blickte auf die bewusstlose Frau. Ihre Brüste waren wie zwei flache Beutel, die Haut war schlaff und welk, und die Adern schimmerten bläulich hindurch, die Rippen standen deutlich hervor, und ihr Schamhaar war dünn und weiß. Sie sah bemitleidenswert und verletzlich aus.
Das neuerliche Lachen des Geisteraustreibers riss Sano aus seinen Gedanken. »Was redet Ihr da?« Joju lachte noch lauter. »Ihr glaubt, das ist die Gemahlin des Shōgun? Da irrt Ihr Euch!«
Er zog das Tuch vom Kopf der Frau. Ihr Haar war silbern und ihr Gesicht so weiß und faltig wie zerknittertes Reispapier. Sie musste in den Siebzigern sein, viel älter als Nobuko. Sano erkannte seinen Irrtum: Die Frau, die Gombei und Jinshichi entführt hatten, war nicht die Gemahlin des Shōgun.
Verwirrt fragte Sano: »Wer ist die Frau?«
»Das weiß ich nicht. Wen interessiert das schon?«
»Wo ist Nobuko?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Wenn die beiden Ochsenkarrenfahrer sie nicht entführt hatten, wer dann? Was mochte in diesem Augenblick mit Nobuko geschehen? Sano war so sicher gewesen, dass er die Gemahlin des Shōgun hier im Wolkenpavillon finden würde!
»Ich schlage vor, wir betrachten das Ganze als Missverständnis, und Ihr lasst mich gehen. Was meint Ihr?«, sagte Joju. »Wenn Ihr niemandem erzählt, was Ihr hier gesehen habt, werde ich dem Shōgun nichts davon sagen, dass Ihr bei der Suche nach seiner Gemahlin versagt habt, indem Ihr einem Unschuldigen nachspioniert habt.«
»Wie könnt Ihr es wagen, mit mir zu feilschen?«, fuhr Sano zornig auf.
Joju hatte die alte Frau vergewaltigt, ob sie nun Nobuko war oder nicht. Überdies war Sano die Ähnlichkeit der Frau mit Jujos vorherigem Opfer aufgefallen. Sie war ungefähr im gleichen Alter wie die Nonne, und ihre weiße Haut schien nur selten dem Sonnenlicht ausgesetzt gewesen zu sein, was darauf hindeutete, dass sie aus einer vornehmen Familie stammte. Und noch etwas wurde Sano klar, als er an Jojus blutiges Glied dachte: Das Blut stammte nicht von der Frau, sondern von Joju selbst. Es war auf seine Geschlechtskrankheit zurückzuführen.
Sano sagte es dem Geisteraustreiber und fügte hinzu: »Das ist der Beweis, dass Ihr die Nonne vergewaltigt und in den Selbstmord getrieben habt.«
Die zuversichtliche Miene Jojus schwand und wich einem Ausdruck der Anspannung, dann der Scham, bis ihm schließlich das Eingeständnis der Schuld deutlich ins Gesicht geschrieben stand. In dem Wissen, dass Sano ihn nicht davonkommen lassen würde, fuhr er unvermittelt herum und riss irgendetwas unter dem roten Umhang hervor, auf dem die alte Frau lag. Es war ein Messer mit einer winzigen Stahlklinge und einem Griff aus Lackarbeit. Sano reagierte zu spät. Als er einen Satz nach vorn machte, das Schwert gezückt, und versuchen wollte, Joju das Messer zu entreißen, hielt der es bereits der alten Frau an die Kehle.
»Lasst mich in Ruhe, oder ich töte sie!«, zischte der Geisteraustreiber.
Sano erstarrte, das Schwert in der erhobenen Hand.
»Lasst die Waffe fallen!« Jojus Stimme war fest, sein Blick wild entschlossen. Die Hand, die das Messer hielt, war vollkommen ruhig.
Sano ließ das Schwert fallen. Er prallte lautlos auf den gepolsterten Boden. Er verfluchte sich dafür, dass er Joju unterschätzt hatte. Er wusste zwar, dass der Geisteraustreiber ein Betrüger und Vergewaltiger war, aber eines Mordes hätte Sano ihn nicht für fähig gehalten.
»Und jetzt verlasst die Kabine und kommt nicht wieder«, sagte Joju.
In diesem Moment schwankte das Boot so heftig, dass die Tür aufglitt. Draußen auf dem Deck waren schnelle Schritte und das Klirren von Schwertern zu hören. Dann erklang Marumes Stimme: »Stirb, du Hund!« Offenbar hatten die beiden Ermittler das Boot eingeholt und waren an Bord geklettert. Dumpfe Geräusche erklangen; schwere Körper prallten gegen die Wände der Kabine und ließen sie erbeben. Sano musste an Chiyos Worte denken, sie habe im Wolkenpavillon das Grollen von Donnern und das Prasseln von Regen gehört. Offenbar hatte die Tür der Kabine für einige Zeit offen gestanden, als Chiyo vergewaltigt
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