Der Wolkenpavillon
bringen. Sie selbst reichte den beiden Männern eine Schale mit heißem Tee.
»Hast du heute Glück gehabt?«, erkundigte Sano sich bei Hirata.
Midori warf Reiko einen auffordernden Blick zu. Sie wussten beide, dass die Männer sich über die Ermittlungen unterhalten wollten, und das war nichts für Kinderohren. »Kommt, Kinder«, rief Midori. »Wir müssen gehen.«
Sie machten sich auf den Heimweg, während Akiko von einem Kindermädchen in ihr Zimmer gebracht wurde. Masahiro packte sein Schreibzeug zusammen und folgte ihnen, ohne zu murren. Reiko sah es mit Erstaunen. Masahiro hatte sich bisher immer so sehr für Sanos Ermittlungen interessiert, dass sie mit heftigem Protest gerechnet hatte. Hatte er das Interesse an der Detektivarbeit verloren? Reiko hätte nichts dagegen gehabt.
Nachdem alle bis auf Reiko das Zimmer verlassen hatten, wandte Sano sich an Hirata. »Spann mich nicht auf die Folter«, sagte er. »Was hast du Neues erfahren?«
»Ich war bei Jirocho.«
»Dem Unterweltfürsten?« Reiko kannte dem Namen des Bandenführers von ihrem Vater, Magistrat Ueda, bei dem Jirocho mehr als einmal vor Gericht gestanden hatte. »Was hat der denn mit der Entführung zu tun?«
»Bevor Chiyo entführt wurde, gab es bereits zwei andere Fälle«, erklärte Hirata. »Eines der Opfer war Jirochos Tochter.«
»Haben die beiden Fälle etwas miteinander zu tun?«, fragte Sano.
»Ich weiß es nicht. Jirocho war nicht besonders hilfsbereit. Er wollte mir nichts erzählen.« Hirata berichtete von seinem Gespräch mit dem Bandenführer. »Er will die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen.«
Sano blickte besorgt drein. »Genau wie Major Kumazawa. Ich habe heute mit ihm gesprochen. Es gefällt ihm nicht, dass ich in zwei weiteren Entführungsfällen ermittle, von denen wir nicht wissen, ob sie etwas mit Chiyos Entführung zu tun haben.«
Reiko konnte es kaum glauben. Wie konnte Kumazawa Sano kritisieren, wo der doch alles tat, um ihm zu helfen - und das, obwohl Kumazawas Klan sich in all den Jahren nicht um Sano und dessen Mutter gekümmert hatte? Doch Reiko schwieg. Sie wollte kein Öl in die Flammen der gegenseitigen Abneigung gießen, die offenbar schon jetzt zwischen Sano und Major Kumazawa loderten.
»Hast du bei Fumiko mehr Glück gehabt, Hirata -san ?«, fragte Sano.
»Eher noch weniger.« Hirata erzählte, dass Jirocho seine Tochter hinausgeworfen hatte, sodass sie sich nun auf der Straße durchschlagen musste.
»Das ist ja schrecklich!«, rief Reiko aus. Den ganzen Tag hatte ihr der Gedanke an Chiyo zu schaffen gemacht, und nun musste sie erfahren, dass auch das Leben eines jungen Mädchens zerstört worden war. Sie fragte sich, wer grausamer war, der Vergewaltiger oder die Gesellschaft.
»Als ich mit Fumiko reden wollte, hat sie mit einem Dolch nach mir gestochen und ist dann weggerannt«, sagte Hirata kleinlaut. »Aber wenigstens habe ich einen Zeugen entdeckt - den Mann, der Fumiko am Shinobazu-See aufgefunden hat. Der Mann hatte einen Ochsenkarren gehört.«
Sano horchte auf. »Vielleicht war es derselbe Karren, den die alte Frau gehört hat.«
»Da ihr gerade von Ochsenkarren redet ...«, erklang Marumes Stimme, der in Begleitung Fukidas ins Zimmer kam. »Wir haben uns in den Stallungen umgeschaut. Der Aufseher dort sagte uns, dass an dem Tag, als wir Chiyo gefunden haben, kein Ochsenkarren nach Asakusa geschickt worden sei, und auch nicht am Tag ihrer Entführung.«
»Wer immer den Ochsenkarren gefahren hat - er hatte keinen amtlichen Auftrag«, fügte Fukida hinzu.
»Den Rest des Tages haben wir versucht, Fahrer ausfindig zu machen, die in den Ställen gewesen sind, ohne dass sie einen Grund dafür gehabt hätten«, sagte Marume. »Aber ...« Mit einer vielsagenden Geste drehte er die Hände, sodass die leeren Handflächen nach oben wiesen.
»Vielleicht können wir die Suche einengen«, meinte Sano. »Hirata -san , hast du eine Beschreibung von dem Fahrer, den man in der Nähe des Shinobazu-Sees beobachtet hat?«
»Nein. Der Zeuge hat den Fahrer nicht richtig gesehen. Er sagte aber, es könnte ein Mann gewesen sein, der in der Gegend Holz abgeladen hatte - ein Bursche Mitte zwanzig, dem zwei Zähne fehlen.«
Sano nippte stirnrunzelnd an der Teeschale, während er nachdachte.
»Das ist doch eine gute Neuigkeit«, sagte Reiko. »Jetzt habt ihr wenigstens eine ungefähre Vorstellung, wie der Verdächtige aussieht.«
»Das Problem ist nur, dass auch ich eine Beschreibung des Verdächtigen habe«,
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