Der Wolkenpavillon
überwachen, um vorgewarnt zu sein, falls die beiden nach Edo zurückkehrten und seine Familie erneut bedrohten.
»Es ist ganz normal, dass Yanagisawa seine Kinder irgendwann verheiraten will«, sagte Sano.
Toda nickte. »Deshalb muss er zusehen, dass sie in Familien einheiraten, die ihm einen politischen Vorteil verschaffen.«
»Aber warum die Heimlichtuerei?«, fragte Sano.
Toda zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich genauso wenig wie Ihr.«
Yanagisawas seltsames Verhalten stimmte Sano nachdenklich. Vielleicht war Yanagisawa zu der Einsicht gelangt, dass er die Macht im Land nicht mit Waffengewalt erobern konnte, sondern durch eine geschickte Heiratspolitik. Aber welche Familien kamen dafür infrage? Im Kopf ging Sano die Namen jener Klans durch, die Söhne und Töchter im passenden Alter hatten, aber das brachte ihn nicht weiter. Es gab zu viele mächtige Familien. Außerdem gab es keine vernünftige Erklärung, weshalb die Heiratsverhandlungen in einem schäbigen Teehaus geführt worden waren.
»Beobachtet Yanagisawa weiter«, befahl Sano. »Findet heraus, wer die beiden Frauen waren und wer die mögliche Braut oder der Bräutigam sein könnte.«
»Ja, ehrenwerter Kammerherr.« Toda verbeugte sich und stand auf.
Als er das Zimmer verließ, fragte Sano sich, ob der metsuke -Spion irgendetwas gehört oder gesehen hatte, was er ihm verschwieg.
*
Als Hirata sich vor dem Teehaus am Shinobazu-See auf sein Pferd schwang, winkten die drei Zeugen ihm von der Veranda aus zu. Er winkte zurück. Dann ritt er davon, um sich auf die Suche nach weiteren Zeugen zu machen, die den Ochsenkarren gesehen hatten.
Mit einem Mal überkam ihn eine merkwürdige Empfindung. Es war eine Aura reiner Energie, die er unvermittelt wahrnahm - so machtvoll, dass die feuchte Luft vibrierte, begleitet von einem dumpfen, rhythmischen Pochen. Eine solch überwältigende Kraft hatten weder Hirata noch sein Lehrer und die anderen ehrwürdigen Meister der mystischen Kampfkunst jemals erlebt. Voller ehrfürchtigem Staunen zerrte Hirata an den Zügeln, brachte sein Pferd zum Stehen und blickte sich suchend nach der Quelle dieser ungeheuren Kraft um.
Doch das Seeufer war menschenleer unter dem bleigrauen Himmel. Die Besitzer der Teehäuser waren wieder in den Gebäuden verschwunden. Weit und breit war niemand zu sehen. Der Regen prasselte auf die Lotosblüten am Seeufer. Alles wirkte so friedlich wie zuvor, doch Hiratas Inneres war in hellem Aufruhr, und seine Muskeln bebten vor Anspannung. Er konnte deutlich spüren, dass jemand ihn beobachtete. Instinktiv zuckte seine Hand zum Schwertgriff. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und sein Atem ging schneller, als er sich zum Kampf wappnete. Hirata hatte selten Grund, sich zu fürchten; in ganz Japan gab es nur wenige Männer, die er nicht besiegen konnte. Warum aber empfand er dann die Gewissheit, dass ihm eine tödliche Gefahr drohte?
Hirata verspürte den Drang zu fliehen, und zugleich packte ihn das Verlangen, sich dem Unsichtbaren zum Kampf zu stellen. Während er noch mit sich rang, verschwand die Aura der Gefahr so plötzlich, wie sie gekommen war, als wäre eine riesige kosmische Maschinerie jäh zum Stillstand gekommen. Hirata hörte und spürte nur noch den Regen. Er war wieder allein.
*
Auf dem Gang vor Sanos Schreibstube kauerte Masahiro auf dem Fußboden und stellte seine Spielzeugsoldaten auf, als die Tür aufging und der grau gekleidete Mann aus der Schreibstube kam. Er ging an Masahiro vorbei, warf einen Blick über die Schulter und bedachte den Jungen mit einem matten Lächeln, bevor er um eine Ecke des Flurs verschwand.
Masahiro fragte sich kurz, ob es unrecht gewesen war, das Gespräch zwischen dem grau gekleideten Mann und seinem Vater zu belauschen.
Nun ja, vielleicht.
Aber Masahiro war neugierig gewesen, was sein Vater so tat, denn eines Tages würde er dessen Amt erben. Sein Vater hatte es selbst gesagt. Also musste er so viel darüber lernen, wie er nur konnte, oder nicht? Daran war nichts Unehrenhaftes oder Heimlichtuerisches. Was war verkehrt daran, sich auf seinen späteren Beruf vorzubereiten?
Masahiro hatte das ganze Gespräch mitangehört, das sein Vater mit dem Mann namens Toda geführt hatte. Jetzt dachte der Junge über das Gehörte nach. Toda war offenbar ein Spion oder so etwas Ähnliches, und Vater hatte ihm den Auftrag erteilt, Yanagisawa zu verfolgen, diesen boshaften Mann, der immer wieder versucht hatte, Vater zu vernichten. Masahiro hatte
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