Der Wolkenpavillon
schneller.«
Masahiro ließ den Kopf hängen. »Tut mir leid, Vater.«
Natürlich gefiel es Sano nicht, seinen Sohn tadeln zu müssen, daher hatte er einen Kampfkunst-Lehrer für Masahiro eingestellt. Sano musste an seine eigene Kindheit denken, als sein Vater ihn den Schwertkampf gelehrt hatte, wobei er nicht gespart hatte an schroffen, ätzenden, manchmal verletzenden Bemerkungen. Sano und Masahiro hingegen übten gern miteinander. Sanos Tage waren ausgefüllt, und umso kostbarer war die knappe Zeit, die er mit Masahiro teilen konnte. Trotzdem durfte er nicht über die Fehler seines Sohnes hinwegsehen. Wenn er diese Fehler nicht behob, konnte das für Masahiro eines Tages den Tod bedeuten. Sano selbst hatte es allein der Strenge und Unerbittlichkeit seines Vaters zu verdanken, dass er noch lebte.
»Du hast nicht aufgepasst«, sagte Sano. »Wäre das ein richtiger Kampf gewesen, wärst du jetzt tot.«
»Ja, Vater, ich weiß«, erwiderte Masahiro kleinlaut.
Sano war besorgt, denn Masahiro nahm die Ausbildung normalerweise sehr ernst. Er wusste besser als die anderen Jungen in seinem Alter, wie überlebenswichtig Geschicklichkeit im Kampf war.
»Was ist los mit dir?«, fragte Sano.
»Nichts.« Masahiros Antwort kam so schnell, dass es Sanos Argwohn erregte.
»Macht dir irgendetwas zu schaffen?«
Masahiro fingerte am Griff seines Holzschwerts herum. »Nein.«
Das Tor zum Hof öffnete sich, und die Ermittler Marume und Fukida erschienen. »Verzeiht die Störung«, sagte Fukida, »aber es gibt gute Neuigkeiten.«
»Darf ich jetzt gehen, Vater?«, fragte Masahiro.
Sano blickte in das erhitzte, unruhige Gesicht seines Sohnes. Normalerweise konnte der Junge gar nicht genug von den Übungsstunden bekommen. Sein seltsames Verhalten stellte Sano vor Rätsel.
Dennoch sagte er: »Also gut«, und verlangte keine weitere Erklärung. In Masahiros Alter hatte Sano sich oft gewünscht, mit anderen Jungen zu spielen, die Stadt zu durchstreifen oder zu faulenzen, doch sein Vater hatte ihm jeden Tag stundenlange Kampfkunst-Übungen aufgezwungen.
Masahiro rannte davon. Sano wandte sich den beiden Ermittlern zu. »Was habt ihr Neues?«
»Wir waren noch einmal bei den Stallungen«, antwortete Fukida. »Wir haben den Vorarbeiter dort gefragt, ob er einen Fahrer kennt, auf den Eure Beschreibung des Mannes vom Kloster passt. Der Vorarbeiter kennt so einen Mann.«
»Wo ist er?«, fragte Sano gespannt. »Habt ihr ihn schon verhaftet?«
»Noch nicht«, antwortete Fukida.
»Er arbeitet auf einer Baustelle an der Ringstraße um den Palasthügel«, sagte Marume.
»Deshalb dachten wir, Ihr würdet gern dabei sein, wenn wir ihn festnehmen.«
*
Bevor Reiko das Haus verließ, ging sie rasch in die Küche, wo ein Heer von Köchen damit beschäftigt war, das Essen für Sanos Bedienstete und Mitarbeiter zuzubereiten, deren Zahl in die Hunderte ging. Inmitten von klapperndem Geschirr, brodelnden Töpfen, bollernden Herden und brutzelnden Pfannen wurden Gemüse und Fisch geschnitten oder gehackt, gebraten oder gedünstet. Der kräftige Geruch von Knoblauch und heißem Öl vermischte sich mit dem Kochdunst, der die ganze Großküche erfüllte.
Reiko stellte eine mit Lackarbeiten verzierte, in verschiedene Fächer unterteilte Tragekiste aus Holz vor sich hin und gab gebratene, mit Krabben gefüllte Klöße, gegrillten Aal, in Streifen geschnittenen rohen Thunfisch, mit gekochtem Seetang umwickelte Reisbällchen, Nudeln und Gemüse sowie Küchlein hinein, die mit süßer Kastaniencreme gefüllt waren. Dann füllte sie einen Krug mit Wasser, trug alles zu ihrer Sänfte, stieg hinein und wies die Träger an: »Bringt mich zum Zōjō-Tempel!«
*
Sano zog rasch seine Übungssachen aus, legte seine gewohnte Kleidung an, schnallte sich seine Schwerter um, stieg auf sein Pferd und verließ gemeinsam mit seinen Ermittlern sein Anwesen. Ehe die Männer vom Palastgelände ritten, machten sie bei Hirata Halt, der sich ihnen anschloss. Marume und Fukida bildeten die Spitze, als Sano und sein Trupp das Palastgelände durch das nordwestliche Tor verließen. Auf der Ringstraße, die den Palasthügel umschloss, zügelten sie ihre Pferde. Die Ringstraße trennte den Palasthügel vom Wohnviertel der daimyo, der Provinzfürsten, die mit ihren Abertausenden Gefolgsleuten auf weitläufigen Anwesen unterhalb des Hügels wohnten.
Die Reisenden - größtenteils berittene Samurai - konnten die Seite der Ringstraße, die zum Palast hin lag, an dieser Stelle
Weitere Kostenlose Bücher