Der Wolkenpavillon
hat ja wohl nicht geklappt.«
»Ich hatte Euch und Chiyo vorher gesagt, dass die Männer lediglich unter Verdacht stehen. Außerdem wollte Chiyo mitkommen.«
»Mit dem Erfolg, dass ich jetzt der Tochter eines Mörders und Halsabschneiders Unterkunft gewähren muss.« Major Kumazawa lachte bitter auf. »Es war ein Fehler, Euch um Hilfe zu bitten. Ich hätte wissen müssen, dass vom Sohn Etsukos nicht viel zu erwarten ist!«
Sano hörte, wie Reiko nach Luft schnappte, und er sah, wie Marumes und Fukidas Hände zum Schwertgriff zuckten. Die Beleidigung traf Sano wie ein Dolchstich, und er war mit seiner Geduld am Ende.
»Und ich hätte einem Mann nicht helfen sollen, der so engstirnig ist, dass ihm sein Stolz und die Traditionen wichtiger sind als die eigene Familie!«, fuhr er Kumazawa an. »Meine Mutter kann den Göttern danken, dass Euer Klan sie verstoßen hat. Ich jedenfalls bin froh darüber, sonst wäre auch ich wohl nur ein dahergelaufener Major geworden.«
Kumazawa zuckte zusammen, als hätte Sano ihn geschlagen. Sein Gesicht lief rot an. Sanos Anspielung, dass niemand aus dem Kumazawa-Klan es so weit gebracht hatte wie er, und die Herabsetzung seines Ranges trafen den Major sichtlich. »Wie könnt Ihr es wagen ...«
»Ich wage es!«, unterbrach Sano seinen Onkel und rief ihm damit in Erinnerung, dass er der Kammerherr und Stellvertreter des Shōgun war. In diesem Augenblick blitzte plötzlich wieder eine Erinnerung auf: Er hatte seinen Onkel schon einmal so wütend erlebt, an jenem längst vergangenen Tag auf dem Kumazawa-Anwesen. Nur konnte er sich nicht mehr an den Grund für den Zorn seines Onkels erinnern. »Ich rate Euch, mir mehr Achtung entgegenzubringen, sonst könnte es sein, dass Ihr Euch als gemeiner Soldat in der Provinz wiederfindet, weit weg von Edo, oder dass Ihr sogar aus dem Dienst ausscheidet.«
Schlagartig wich alles Blut aus Kumazawas Gesicht. Er wusste, dass Sano die Macht besaß, ihn zu degradieren, ja, ihn aus der Armee zu werfen, sodass er ein Leben als herrenloser rōnin würde führen müssen. Ohne ein Wort drehte Kumazawa sich um, stieg auf sein Pferd und galoppierte so schnell über die Brücke, dass seine Leute Mühe hatten, ihm zu folgen.
Sanos Freude über seinen Sieg hielt sich in Grenzen. Die Auseinandersetzung hatte ihn ausgelaugt, und er war auch wütend, dass sein Onkel ihn dazu verleitet hatte, seine Macht auszuspielen. Wie es aussah, würde es nie zu einer Aussöhnung zwischen ihren Klans kommen.
Reiko, Marume, Fukida und Sanos Begleitsoldaten taten taktvollerweise so, als hätten sie nichts mitbekommen. Niemand sagte ein Wort, bis Hirata aus dem Gefängnistor kam.
»Was habt Ihr jetzt mit den beiden Verdächtigen vor?«, wollte er von Sano wissen. »Sollen sie weiter in Haft bleiben?«
Sano dachte einen Moment lang nach, dann erwiderte er: »Nein. Lass sie frei.«
»Sie freilassen?« Reiko musterte Sano ungläubig. »Sicher, Chiyo und Fumiko haben sie nicht als Täter identifiziert, aber glaubst du nicht, dass sie schuldig sind? Ich schon.«
»Lass sie frei, Hirata -san ! Aber wir lassen sie überwachen«, befahl Sano. »Hast du Leute, die sich auf Überwachungen verstehen?«
»Ja«, antwortete Hirata. »Ich lasse sie herkommen.«
»Wenn diese beiden Kerle schuldig sind, erwischen wir sie möglicherweise dabei, wenn sie eine neue Entführung vorbereiten«, sagte Sano.
Er blickte zum bewölkten Himmel, auf dem bereits die Schatten der Dämmerung lagen. In den Wachtürmen des Gefängnisses zündeten die Wärter Laternen an. Schwarzer Rauch stieg in die feuchte Abendluft. Sano blickte Reiko an. »Ich bringe dich
nach Hause«, sagte er. »Für heute ist es genug.«
*
Sano und sein Gefolge erreichten das heimische Anwesen, als die Tempelglocken die späte Stunde des Bären einläuteten. Zu beiden Seiten des Gehwegs, der zur Villa führte, brannten steinerne Laternen. Die dunstige Luft war erfüllt vom Zirpen der Grillen und dem Quaken der Frösche im Garten. In dunklen Rinnen gluckerte Wasser, Hunde bellten, und patrouillierende Wachsoldaten riefen einander von Weitem etwas zu. Sano, Marume, Fukida und ihre Begleitsoldaten schwangen sich aus dem Sattel, während Reiko aus der Sänfte stieg. Sanos Schreiber erschien und rief ihm aus dem Türeingang entgegen: »Toda Ikkyu möchte Euch sprechen, ehrenwerter Kammerherr.«
»Vielleicht wendet sich ja jetzt das Blatt«, sagte Sano.
Gemeinsam mit Reiko betrat er das Empfangsgemach. Toda kniete im Licht einer
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