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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Sano wandte sich Reiko zu. »Nun ja.«
    Reiko nickte betrübt. »Also ist der wahre Täter noch auf freiem Fuß ... oder die Täter. Nicht auszudenken, wie viele Frauen noch entführt und missbraucht werden, bevor man sie fassen kann.«

22.

    Als Sano und Reiko das Gefängnis verließen, hörten sie Jammern und Weinen. Jirocho stand vor dem Tor. Vor ihm kniete Fumiko. Sie hatte die Arme um seine Beine geschlungen und rief schluchzend: »Bitte, Papa, sei nicht mehr böse auf mich!«
    »Lass mich los, du dreckiges kleines Tier!«, brüllte Jirocho und versuchte, das Mädchen von sich wegzutreten.
    Chiyo stand in der Nähe, beobachtete die Szene und rang die Hände. Major Kumazawa zerrte an ihrem Arm. »Nun komm schon.« Auf seinem Gesicht spiegelte sich Abscheu angesichts der Szene, die sich zwischen Jirocho und Fumiko abspielte. Doch Chiyo rührte sich nicht. Auf der Brücke, die über den Wassergraben führte, warteten Sanos Soldaten, Jirochos Leibwächter sowie die Sänften der Frauen mitsamt den Trägern. Gefängniswärter spähten von den Wachtürmen herunter und beobachteten das Geschehen.
    »Warum liebst du mich nicht mehr, Papa?«, rief Fumiko schluchzend. »Ich habe doch nichts Schlimmes getan!«
    »Du konntest diesen Bastard nicht identifizieren«, sagte Jirocho, dessen rot angelaufenes Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzerrt war. »Versuchst du ihn zu schützen? Oder hast du es schon mit so vielen Kerlen getrieben, dass du nicht mehr weißt, wie sie aussehen?« Er packte Fumiko an den Haaren, riss ihren Kopf in den Nacken und schlug ihr ins Gesicht. »Hure!«
    »Hört auf!«, befahl Sano.
    Als er sich Jirocho näherte, riss der Verbrecherkönig die Arme Fumikos von sich los, die noch immer verzweifelt seine Beine umklammerte. »Verzeih mir, Papa!«, bettelte das Mädchen. »Ich möchte wieder zu dir nach Hause!«
    Jirocho gab seinen Männern ein Zeichen. Als sie davonstapften, warf er Sano über die Schulter einen drohenden Blick zu. Fumiko lag gekrümmt auf dem Boden und weinte. Sano hätte den Bandenführer wegen der Misshandlung seiner Tochter am liebsten zur Rechenschaft gezogen, doch er gab sich selbst die meiste Schuld daran, dass Fumiko leiden musste. Hätte er, Sano, den Täter bereits gefasst, hätte Jirocho seiner Tochter vielleicht verziehen. Es war ein altbekanntes Schuldgefühl, das Sano zu schaffen machte, quälend und übelkeiterregend wie ein körperliches Leiden. Wieder einmal war es ihm nicht gelungen, schnell genug Ergebnisse zu erzielen, und wieder einmal mussten andere dafür bezahlen.
    Chiyo half Fumiko behutsam hoch, hielt sie fest und sprach tröstend auf sie ein. »Du kannst mit zu mir nach Hause kommen. Würde dir das gefallen?«
    Fumiko schluchzte herzzerreißend, nickte aber. Major Kumazawa rief: »Sie wird den Fuß nicht über meine Schwelle setzen!«
    Chiyo antwortete mit ebenso großer Eigensinnigkeit wie er: »Doch, das wird sie, Vater!« Sano erkannte zum ersten Mal, wie ähnlich sich die beiden waren. Chiyo half Fumiko in die Sänfte, und die Träger setzten sich in Bewegung.
    »Gut, dass Fumiko in Sicherheit ist«, sagte Reiko. »Aber es muss schrecklich für sie sein, dass ihr Vater sie nicht mehr bei sich aufnimmt.«
    Sano dachte an seine Tochter Akiko. Wie konnte ein Vater die eigene Tochter so behandeln? Auf der anderen Seite war er noch nie in Jirochos Lage gewesen. »Vielleicht können Chiyo und Fumiko sich gegenseitig helfen«, sagte er hoffnungsvoll. Die eine hatte den Vater verloren, die andere ihren Mann und die Kinder. Vielleicht konnten sie einander Trost spenden.
    Major Kumazawa starrte der Sänfte düster hinterher, dann wandte er sich Sano zu. »Ihr seid wirklich ein großartiger Ermittler.«
    Zorn stieg in Sano auf. Es war dreist und respektlos, wie sein Onkel mit ihm, dem Kammerherrn, redete. Wären sie nicht verwandt gewesen, hätte Sano nicht gezögert, ihn festnehmen zu lassen. Aber Kumazawa war der unglückliche Vater des Opfers einer Vergewaltigung.
    »Ich hatte Euch von Anfang an gewarnt, dass ich Euch nichts versprechen kann«, sagte Sano.
    »Ihr habt mich aber nicht gewarnt, dass meine Tochter ins Gefängnis von Edo geschleift wird, um sich nackte Männer anzuschauen. So etwas habe ich noch nie gehört!«
    »Niemand kann vorhersagen, welche Notwendigkeiten sich im Zuge einer Ermittlung ergeben«, entgegnete Sano. »Chiyo musste sich die Männer anschauen. Anders war nicht festzustellen, ob einer von ihnen ihr Vergewaltiger war.«
    »Nun, das

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