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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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ihre warmen Hände. »Ich bin bei Euch. Wir werden das gemeinsam hinter uns bringen.«
    Reiko war schon einmal im Gefängnis von Edo gewesen, und sie wusste daher, was für ein grauenvoller Ort das war, aber diesmal war nicht viel von der Umgebung zu sehen. Während Reiko, Chiyo und Fumiko den Hof überquerten, wurden sie schützend von Sanos und Kumazawas Männern umschlossen, und als sie sich dem Kerker näherten, war nur der Blick auf das Obergeschoss frei. Dennoch hörten sie das Schreien, Stöhnen und Schluchzen der Häftlinge, und der Gestank, der aus dem Gebäude drang, war grauenhaft. Reiko und Chiyo hielten sich den Ärmel ihres Gewands vor die Nase, während Fumiko leise knurrte wie ein bedrohtes Tier. Immer wieder blickte sie über die Schulter auf ihren Vater.
    Die Gruppe betrat ein schlichtes Holzgebäude, dann ging es über einen Gang mit Schreibstuben zu beiden Seiten, in denen Beamte, zumeist Samurai, an ihrem Pult arbeiteten. Sano führte Reiko, Chiyo, Fumiko, Major Kumazawa und Jirocho in einen leeren Raum. Die Ermittler Marume und Fukida folgten ihnen. An einer Wand befand sich eine offen stehende Schiebetür, durch die man auf eine Veranda gelangte, die den Blick auf einen Innenhof gewährte. Der schlammige Boden war mit einer Schicht Kies bedeckt, und in der Mitte des Hofes erhob sich ein feuersicheres Lagerhaus, dessen verputzte Wände mit Moos bewachsen waren. Sano schob eine hölzerne Spalierwand vor die Tür, die den Blick auf das Lagerhaus freigab.
    »Stellt euch vor das Spalier«, forderte er Chiyo und Fumiko auf, »und schaut nach draußen.«
    Das Mädchen und die Frau taten wie geheißen. Reiko stellte sich zwischen die beiden. Dann spähten sie durch die Ritzen im Holzgitter. Jirocho, Major Kumazawa und Sano nahmen hinter den drei Frauen Aufstellung. Sie alle beobachten, wie Hirata die beiden Ochsenkarrenfahrer aus dem Lagerhaus in den Hof führte. Hirata befahl den beiden, sich nebeneinander vor die Veranda zu stellen, mit dem Gesicht zum Spalier. Chiyo ließ ein leises Stöhnen hören und wich zurück.
    »Habt keine Angst«, sagte Sano. »Sie können Euch nicht sehen.«
    Neugier erfasste Reiko, als sie die beiden Verdächtigen betrachtete. Der große, muskulöse Mann ließ die breiten Schultern hängen und starrte auf den kiesbestreuten Boden, einen mürrischen Ausdruck auf dem Gesicht mit den wulstigen Brauen. Sein kleinerer, drahtiger Kumpan strich über das lange, gewellte Haar und grinste unsicher, wobei die fehlenden Zähne hässliche schwarze Löcher in seinem Mund bildeten. Reiko hatte schon viele Schwerverbrecher gesehen, und ihr Instinkt sagte ihr, dass die beiden Männer zu dieser Sorte gehörten.
    »Erkennt Ihr diese Männer, Chiyo?«, fragte Sano. »Ich will eine ehrliche Antwort.«
    Chiyo starrte auf die Verdächtigen. In ihren Augen spiegelte sich eine Mischung aus Furcht und Faszination. »Ich weiß nicht ...«
    »Und du?«, fuhr Jirocho seine Tochter an. Es waren die ersten Worte, die er an Fumiko richtete. »Welcher von den beiden hat dich entführt?«
    Fumiko wandte sich zu ihm, und Reiko sah auf dem Gesicht des Mädchens den sehnsüchtigen Wunsch, die Verbindung zu ihrem Vater wiederherzustellen. Dann drehte sie sich wieder zu dem Spalier um und wies zögernd auf den großen, breitschultrigen Mann.
    Reiko stockte der Atem. Sie konnte hören, wie hinter ihr Sano, Kumazawa und Jirocho nach Luft schnappten. Plötzlich bewegte Fumikos Hand sich langsam zur anderen Seite, und ihr ausgestreckter Finger zeigte auf den zweiten Verdächtigen. Dann ließ sie die Hand unvermittelt sinken. Sie zuckte mit den Schultern und hatte sichtlich Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
    »Sie weiß es auch nicht!«, sagte Jirocho verächtlich.
    »Die Männer sollen sich einmal um sich selbst drehen!«, rief Sano Hirata zu.
    Hirata blickte die beiden Gefangenen an und machte mit der Hand eine kreiselnde Bewegung. Die Männer drehten sich langsam um die eigene Achse, bis sie mit dem Gesicht wieder zum Spalier standen. Reiko blickte von Chiyo zu Fumiko. Auf ihren Gesichtern war kein Zeichen des Wiedererkennens zu sehen.
    »Vielleicht würde es helfen, wenn sie näher herankämen«, sagte Chiyo.
    Sano erteilte den entsprechenden Befehl. Hirata stieß die beiden Verdächtigen die Stufen zur Veranda hinauf, bis sie so nah vor dem Spalier standen, dass man sie hätte anfassen können. Reiko sah die Poren in deren wettergegerbter, gebräunter Haut. Der Geruch von Urin, von Schweiß und von Ochsen

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