Der Wolkenpavillon
Thema. »Habt Ihr die drei Frauen auch beobachtet?«
»Ja.«
»Wer war das?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Toda. »Ich habe sie nie gesehen.«
»Was hatten diese Frauen denn mit Yanagisawa und Yoritomo zu schaffen?«
»Es tut mir leid, diese Frage kann ich Euch auch nicht beantworten. Auf jeden Fall hatten sie sich einen abgeschiedenen Ort ausgesucht, wo sich nur wenige Leute aufhalten. Leider konnte ich nicht nahe genug an sie heran, um das Gespräch zu belauschen. Aber es sah mir ganz nach einem miai aus.«
»Das scheint mir eine gute Erklärung zu sein«, sagte Reiko zu Sano. »Für Yoritomo wird es Zeit zu heiraten, und Yanagisawa hält wahrscheinlich nach einer geeigneten Kandidatin Ausschau. Gut möglich, dass dieses Treffen gar nichts mit Politik zu tun hatte.«
»Kann sein«, erwiderte Sano zweifelnd, »aber warum sollte Yanagisawa ein Geheimnis daraus machen, wer Yoritomos zukünftige Gemahlin werden könnte? Ich hätte eher damit gerechnet, dass Yanagisawa öffentlich verkünden lässt, dass er nach einer passenden Frau für Yoritomo sucht, oder dass er Mittelsmänner ausschickt, um Heiratsangebote einflussreicher Familien zu erbitten. Nein, ich glaube nicht, dass dieses Treffen wirklich ein miai war.«
Sano wandte sich an Toda. »Überwacht Yanagisawa weiterhin! Versucht herauszufinden, wer die drei Frauen waren und was Yanagisawa wirklich vorhat.«
»Ich werde tun, was ich kann«, sagte Toda, verbeugte sich und ging.
Erst jetzt, nachdem es still geworden war in der Villa, bemerkte Sano, wie erschöpft er war. Die Anstrengungen und Enttäuschungen des zurückliegenden Tages forderten ihren Tribut. Hinzu kam der Schreck über Masahiros gefährliche Eskapade.
»Lass uns etwas essen«, sagte er zu Reiko, »und dann zu Bett gehen.«
»Das hört sich gut an«, entgegnete Reiko.
»Morgen ist bestimmt ein besserer Tag«, sagte Sano. »Wir werden eine neue Gelegenheit bekommen, den Entführer zu fassen. Es ist so viel schiefgegangen, dass es nur besser werden kann.«
23.
Ein morgendliches Gewitter weckte Edo. Düstere Unwetterwolken verdeckten die aufgehende Sonne. Regen ging auf die Stadt nieder, und durchnässte Menschen hasteten durch Straßen, über denen kalte Nebelschwaden wogten. Der Palasthügel war in einen Schleier aus Regenschlieren gehüllt, die höher aufragende Gebäude unsichtbar machten.
Reiko öffnete die Tür, die von ihrem Gemach in den Garten führte. Beim Anblick des strömenden Regens verzog sie das Gesicht. Die heutige Reise würde nass und unbehaglich werden, erst recht für die Sänftenträger und für die Begleitsoldaten. Als Reiko die Tür zuschob, kam ihre kleine Tochter Akiko ins Zimmer getappt. »Geh nicht weg, Mama«, sagte sie.
Reiko seufzte. Manchmal beachtete Akiko sie tagelang nicht, und Reiko musste darum kämpfen, die Aufmerksamkeit des Mädchens zu erlangen. Manchmal aber, meist ausgerechnet dann, wenn Reiko sich um andere wichtige Dinge kümmern musste, kam Akiko nicht ohne ihre Mutter aus. Außerdem hatte das Mädchen einen ausgeprägten Instinkt, der sie jedes Mal vorwarnte, wenn Reiko das Haus verlassen wollte.
»Ich bin bald wieder da«, sagte Reiko, kniete sich hin, schloss Akiko in die Arme und versuchte sie zu besänftigen.
Akiko klammerte sich an ihr fest und fing an zu weinen. Es war so schlimm, dass Reiko schließlich das Kindermädchen rufen musste, damit dieses sie mit sanfter Gewalt aus Akikos verzweifeltem Griff befreite. Reiko versprach Akiko, ihr Süßigkeiten mitzubringen, aber es half alles nichts. Als sie den Flur hinunterging, folgte ihr das Schluchzen des kleinen Mädchens. Reiko seufzte. Die Aufgaben als Mutter und die Tätigkeit einer Ermittlerin waren nur schwer zu vereinbaren. Sie schob ihre Schuldgefühle beiseite und ging zu Masahiros Zimmer, um nach dem Jungen zu sehen.
Masahiro saß an seinem Pult und übte Schönschrift, beaufsichtigt von seinem Lehrer und bewacht von einem von Sanos Soldaten. Als Reiko den Kopf ins Zimmer steckte, blickte Masahiro kaum von seinem Pult auf.
»Ich muss ein paar Besorgungen machen«, sagte Reiko. »Anschließend besuche ich die Cousine deines Vaters. Sei artig, solange ich fort bin.«
»Ja, Mutter.« Es war Masahiro anzusehen, wie unglücklich er darüber war, auf sein Zimmer verbannt worden zu sein. Reiko hatte Mitleid mit ihm, doch sie konnte die Strafe, die Sano verhängt hatte, nicht einfach aufheben.
»Versprichst du mir, dass du im Haus bleibst?«, fragte sie.
Masahiro seufzte
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