Der Wolkenpavillon
entführt, aber nicht vergewaltigt. Vielmehr hatten sie die Frauen für jemand anders beschafft, für einen Auftraggeber, der seinen abartigen sexuellen Appetit nicht in den Bordellen von Edo stillen konnte.
»Waren die entführten Frauen eine junge Mutter, eine Nonne und ein Mädchen?«
»Ich weiß nicht, wer sie waren ...«, antwortete der Besitzer und sog zischend die Luft ein, als Hirata erneut zudrückte. »Ich kann es euch nicht sagen! Ich bringe Jinshichi und Gombei bloß mit den Kunden zusammen und kassiere meinen Anteil. Was die beiden hinterher tun, regeln sie mit dem jeweiligen Kunden.«
»Nennt mir die Namen dieser Kunden!«, verlangte Sano.
Wieder erschien ein Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht des Teehausbesitzers. Trotz der Lähmung zitterte er heftig. »Das ... das kann ich euch nicht sagen. Sie würden mich töten!«
»Wenn Ihr uns die Namen nicht sagt, töte ich Euch«, drohte Hirata.
Der Mann sank in sich zusammen, als hätte er plötzlich keine Knochen mehr im Leib. Schlaff lag er auf dem Boden und rang verzweifelt nach Atem. Einmal mehr staunte Sano, welche schrecklichen Fähigkeiten Hirata besaß. Draußen in der Teestube waren nur die Stimmen der Dienstmägde zu hören, die kichernd miteinander plauderten, ohne zu ahnen, was hinter dem Vorhang vor sich ging.
»Also gut«, keuchte der Besitzer. »Wenn Ihr mich loslasst, rede ich.«
27.
»Du hast den Mann doch nicht etwa laufen lassen?«, fragte Reiko, als sie für Sano spät an diesem Abend das Essen auftrug.
»Natürlich nicht.« Sano hatte ihr von seinem Besuch im Teehaus und von den Geschehnissen erzählt. Jetzt machte er sich hungrig über die Makrele mit Reisbällchen und über die mit Gemüse gefüllten Klöße her. »Hirata und ich haben das Teehaus schließen lassen und den Besitzer ins Gefängnis gebracht. Ich werde später ermitteln, welcher Verbrechen er sich schuldig gemacht hat. Dann kann dein Vater ihn vor Gericht stellen. Das Teehaus lasse ich vorerst überwachen, falls Jinshichi und Gombei sich dort blicken lassen.«
»Wer waren denn nun die Kunden?«, fragte Reiko gespannt.
Bevor Sano antwortete, warf er einen Blick ins angrenzende Zimmer, um sicherzugehen, dass Masahiro nicht lauschte. Er hatte beschlossen, seinen Sohn in jeder Hinsicht aus den Ermittlungen herauszuhalten, und er sollte nicht einmal Gespräche darüber hören. Sano entdeckte den Jungen zwei Zimmer weiter in seinem Bett. Akiko, seine kleine Schwester, kuschelte sich an ihn, während er ihr eine Geschichte vorlas. Obwohl er zur Strafe den ganzen Tag im Haus hatte verbringen müssen, schien Masahiro mit sich und der Welt zufrieden zu sein.
Nachdem Sano zu Reiko zurückgekehrt war, berichtete er ihr, was er herausgefunden hatte. »Die Kunden sind drei Männer, die große Schwierigkeiten bekommen werden, wenn sich herausstellen sollte, dass sie tatsächlich für die Entführung von Chiyo und den anderen Frauen verantwortlich sind. Jinshichi und Gombei haben die Drecksarbeit für diese Männer erledigt. Ich kenne sie nicht persönlich, aber ich habe von ihnen gehört. Einer ist der Reisgroßhändler Ogita.«
»Der Name ist mir auch schon begegnet«, sagte Reiko. »Ogita kauft Reis von den Ländereien des Shōgun und versteigert ihn dann, nicht wahr?«
»Ja. Und er verdient eine Menge Geld dabei.« Mehr als genug, um Gauner dafür zu bezahlen, dass sie Frauen für ihn entführten, mit denen er sich dann vergnügen konnte. »Der zweite Mann ist Nanbu Basai, oberster Aufseher der Hundezwinger des Shōgun.«
Entsprechend dem »Gesetz zum Schutz der Hunde« hatte die Regierung Zwinger für die Streuner erbauen lassen. Die Aufsicht über diese Zwinger war Nanbu Basai übertragen worden, einem Gefolgsmann der Tokugawa aus alter, angesehener Familie. Aber gute Verbindungen zum Herrscherhaus schlossen abartige sexuelle Vorlieben - oder Verbrechen - nicht aus.
»Und wer ist der dritte Mann?«, fragte Reiko.
»Ein Priester namens Joju.«
»Der Mann, der für seine seltsamen Rituale bekannt ist?«
Die außergewöhnlichen Rituale, die Reiko ansprach, hatten das Interesse der Öffentlichkeit erregt, die stets begierig war auf neue Zerstreuungen. »Genau der«, antwortete Sano. »Aber wir wissen nicht mit Sicherheit, ob Joju oder die beiden anderen Männer hinter den Entführungen stecken.«
Deshalb musste Sano die beunruhigende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Jinshichi und Gombei die drei Frauen im Auftrag eines anderen Kunden entführt hatten, den
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