Der Wüstendoktor
Nolet jetzt gesund – sagen wir, leidlich gesund – im Bett und würde frühstücken.«
»Das genau ist es, warum ich Sie von Laila wegholte. Es geht um unser Gesicht, Hakim-Pascha. Ich habe versprochen, daß keinem Passagier etwas geschieht – stirbt Nolet, wird man das uns als Mord ankreiden. Sie kennen die internationale Presse …«
»Haben sie so unrecht. Karabasch?«
»Führen wir jetzt keine Diskussion über das Recht. Für akademische Späße haben wir keine Zeit mehr. Sie müssen Nolet retten. Er muß so lange leben, bis wir alle Geiseln ausgeflogen haben. Wenn er in Beirut oder in Paris stirbt, ist es nicht mehr unsere Sorge. Aber er darf auf keinen Fall hier in Amman begraben werden. So blutig eine Revolution auch ist und so wenig Menschen dabei zählen – sie hat ein Gesicht. Und dieses Gesicht muß der Welt sympathisch sein. Verstehen Sie das, Hakim-Pascha?«
»Jedes Wort. Ich soll jetzt den Spiegel polieren.«
»Sie haben es erfaßt. Kommen Sie – wir fahren sofort hinüber zum Philadelphia.«
Vandura holte aus dem Lazarett seine Arzttasche, warf seine eigene Dschellaba über seinen Anzug und rannte aus dem großen, verschachtelten Haus mit den unzähligen Höfen und flachen Dächern, das Karabasch als Hauptquartier der Revolution diente. Mit einem Jeep – »sieh an, aus der UdSSR«, sagte Vandura und klopfte auf den Türrahmen – rasten sie zum Hotel. Es glich einer belagerten Festung – die 2. Kompanie der Rebellen hatte einen dichten Ring um den Gebäudekomplex gezogen, Panzer und sandfarben gestrichene Lastwagen blockierten die Zufahrtsstraßen. Zum Dschebel Amman hin und in Richtung der Hauptpost, wo bisher die blutigen Kämpfe getobt hatten, war es still. Die Geschäfte öffneten wieder, Esel und Kamele zogen bepackt durch die Stadt, die Autos rollten wieder über die Straßen, eine Fülle von Menschen belebte die bis zur Nacht fast tote Stadt. Es war, als gäbe es keinen Bruderkrieg, als sei Amman nicht in zwei Teile zerrissen … Nur die Kontrollen aller Autos und Personen, die sich dem inneren Ring der Rebellenviertel näherten, erinnerten daran, daß jede Minute wie eine Explosion an unbekannter Stelle das große Sterben sich fortsetzen konnte.
Im Hotel trennten sich Karabasch und Vandura. Der Rebellenführer stellte sich zum Interview den ausländischen Reportern, Vandura wurde von Pfarrer McClean in Empfang genommen.
»Retten Sie Nolet«, sagte Karabasch leise, ehe sie auseinandergingen. »Ich garantiere, daß alle Passagiere heute abend hinüber zum Hotel Intercontinental und damit in die Freiheit gebracht werden. Zufrieden?«
»Darüber unterhalten wir uns später.« Vandura drückte seine Arzttasche unter den Arm und lief McClean nach, der an der Treppe winkte.
Im Zimmer Nolets saßen zwölf Männer und die beiden Stewardessen. Nolet lag in seinem Bett, aber die Decke war über seinen Kopf gezogen. Vandura blieb an der Tür stehen – ein zugedecktes Gesicht, diese Geste ist international. Die Trennung zwischen Leben und Tod.
»Ich komme also zu spät?« fragte er mit plötzlich bedeckter Stimme.
»Es war schon zu spät, als wir im Hauptquartier anriefen.« Flugkapitän Perkins erhob sich und kam Vandura entgegen. »Nolet starb gestern. Er hörte einfach mit Atmen auf. Keiner im Hotel weiß davon – nur wir, die wir hier herumsitzen. Und es war der Pfarrer, der den zwar unheiligen, aber nützlichen Gedanken hatte.«
»Welchen Gedanken?« Vandura trat an das Bett, zog die Decke von dem Gesicht Nolets und sparte sich eine Untersuchung. Wer in der Wüste einen Tag tot ist, sieht nicht mehr aus wie einer, der nur ohnmächtig ist. Vandura verdeckte Nolets Gesicht wieder und blickte hinüber zu Pfarrer McClean.
Der Pfarrer nickte mehrmals, bevor er sprach. »Es ist so, Doktor –«, sagte er langsam. »Nolet kann niemand zurückholen. Ich habe für ihn gebetet und habe ihm die letzte Segnung erteilt. Er kann auch in dieser Erde als reiner Christ schlafen. Aber sein Tod macht einen Platz frei, verstehen Sie? Einen Platz in der Maschine, die uns zurück in die Freiheit bringt. Noch lebt Nolet in den Listen. Und da haben wir an Sie gedacht, Doktor …«
Vandura stockte der Atem. Nolet tot und er an seiner Stelle … das bedeutete die Rückkehr in ein Leben, dem er entflohen war, weil er sich eine Schuld einredete, die er gar nicht begangen hatte. Es bedeutete: Eine neue Praxis, neue Forschungen, Sicherheit und Erfüllung seiner ärztlichen Aufgaben – und es bedeutete
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