Der wunderbare Massenselbstmord
wurden. Für eine Nacht mieteten sich alle in Lakselv im Hotel ein, sie konnten sich waschen und zur Abwechslung in Betten schlafen. Der Fluglärm vom Militärflugplatz Banak trieb die Gruppe jedoch weiter. Die beiden nächsten Tage verbrachte sie in der Wild-mark am Gakkajokka, wohin eine schmale, zehn Kilo meter lange Nebenstraße führte.
Die Hauswirtschaftslehrerin Elsa Taavitsainen nahm sich der Verpflegung an. Da man in Norwegen war, wo es überreichlich Lachse und Grauforellen gab, verwöhn te Frau Taavitsainen die Gruppe mit den leckersten Fischgerichten. Gemeinsam mit ihren Helferinnen berei tete sie den Lachs auf die verschiedensten Arten zu: Er wurde gebeizt oder im Topf über dem Feuer gegart, die kleineren Grauforellen wurden an der Glut gegrillt, sodass sie nachher im Munde zergingen. In den Fjälls pflückten die Köchinnen wilden Schnittlauch für Fisch suppen, die mit Landbutter und Streichholzkartoffeln angereichert wurden. Damit die Gruppe des Lachses sens nicht überdrüssig wurde, besorgte Elsa Taavitsai nen einheimischen Ziegenkäse, Lamm und trockenes Rentierfleisch, woraus sie sagenhafte Schmorgerichte und Suppen zauberte. Der Ziegenkäse eignete sich auch zum Überbacken von Brot mit Rentierfleisch, oder er wurde auf Steinen geröstet angeboten. In den Mooren sammelten die Köchinnen Moosbeeren, um den Wildge schmack des Rentierfleisches hervorzuheben.
An den Abenden der glücklichen Urlaubstage lagerte die Gruppe in der Stille der Wildmark und sprach über Gott und die Welt. An die Todesfahrt am Nordkap erin nerten sich alle mit großem Ernst. Die Mitglieder fan-den, dass es ganz vernünftig gewesen war, den Massen selbstmord aufzuschieben. Jemand erzählte, er habe gelesen, dass die schrecklichste Form von Todesangst die Angst eines Kindes vor dem unwiderruflichen Ab sturz von der Erdkugel, aus dem Mutterleib, hinein in die grundlose Tiefe des Weltalls sei. Die Todesfahrt am Nordkap habe etwas von diesem Schrecken gehabt.
Es wurde allgemein beklagt, dass man kein einziges wirkliches Genie in der Gruppe hatte, einen Menschen mit tief schürfenden Gedanken, der den anderen die Geheimnisse von Leben und Tod befriedigend erklären konnte. Solche Menschen gab es vielleicht, aber auf dieser Reise musste man sich mit den Erfahrungen des Durchschnittsbürgers und mit Sorjonens Sentimentali täten zufrieden geben. Trotzdem, die Reise hatte viel Stoff für Überlegungen über Leben und Tod gegeben.
Bei diesen Gesprächen kam ein Mitglied der Gruppe auf die Idee, dass man einen eigenen Verein der Selbst mörder gründen oder den bestehenden offiziell bekannt machen sollte. Helena Puusaari, Onni Rellonen und Oberst Kemppainen hatten ihn ja eigentlich schon nach Mittsommer gegründet. Natürlich sollte der Klub nicht registriert werden, sondern es sollte ein offener Verein bleiben, dessen Aufgabe spätestens in den Schweizer Alpen erfüllt wäre, wenn man Korpela endlich die Gele genheit geben würde, seinen teuren Bus samt Passagie ren und allem Drum und Dran in eine tiefe Gebirgs schlucht zu stürzen.
Der Klub bekam den Namen Offener Verein Anonymer Sterblicher. Ein Statut wurde nicht erarbeitet, man einigte sich nur schlicht, dass die Mitglieder im brüder lichen Geiste und in gemeinsamer Front tätig sein woll ten. Im Andenken an die Prüfungen im Winterkrieg wollte man sich die finnischen Soldaten und ihren hel denhaften Kampf bis zum letzten Mann zum Vorbild nehmen. Man darf den Kameraden nicht allein und nicht am Leben lassen. Die Kämpfer im Winterkrieg waren seinerzeit Brust an Brust gefallen, so würden es auch die Anonymen Sterblichen machen. Immerhin war ihr Feind noch schrecklicher als seinerzeit die angrei fende Sowjetunion, diesmal war es die ganze Mensch heit, die Welt, das Leben.
Gesellschaftliche Widersprüche interessierten in die-sem Stadium nicht mehr. In der Gruppe gab es viele arme und elende Menschen, aber auch reiche, sogar steinreiche wie Frau Granstedt, Uula Lismanki und ein paar andere. Man stellte einhellig fest, dass die Finnen unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen Selbstmord begingen, wenn auch der Mangel an Geld der dominierende Grund war, sich umzubringen, für manche sogar der einzige.
Helena Puusaari bekam Gelegenheit, ein paar norwe gische Friedhöfe zu besuchen, zu denen Onni Rellonen sie willig begleitete, solange Oberst Kemppainen in Ivalo weilte.
Schließlich kam der Morgen, an dem Korpela erklärte,
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