Der wunderbare Massenselbstmord
Rande von Wohn siedlungen waren sie dazu übergegangen, die Bartflechte durch Isoliermaterial aus Glaswolle zu ersetzen, das auf Baustellen herumlag. Die Ersatzmaterialien entsprachen in der Qualität jedoch nicht der natürlichen Bartflechte: Die Jungtiere froren in den Nestern, die feucht und ungesund waren. Außerdem bestand die Gefahr, dass die Nester aus Glasfasern bei den Jungtieren Lungen krebs verursachten. Die Eichhörnchen waren ja nicht in der Lage, ihre Nester zu tapezieren, obwohl bei Gebäu desanierungen jede Menge Tapetenfetzen draußen he rumlagen.
Märchenonkel Sorjonen hatte über die Wohnprobleme der Eichhörnchen gründlicher nachgedacht. Ihm war die Idee gekommen, darüber ein Kinderbuch zu schreiben, und er hatte sich Folgendes ausgedacht: Den Artikel über die Eichhörnchen liest zufällig auch der fünfzigjäh rige Fährmann und Fischer Jaakko Lankinen, der sei nerzeit geheiratet und zwei Kinder bekommen hatte, dann verwitwet war. Die Kinder sind inzwischen er wachsen. Lankinen hat heute genügend Geld und au ßerdem, besonders in den langen Wintern, reichlich Zeit. Er ist ein gutmütiger Mann, wohnt allein an einem großen Binnensee und betreibt in kleinem Umfang Naturschutz.
Jaakko Lankinen gerät in Sorge wegen der jungen Eichhörnchen und beginnt zu überlegen, ob er etwas für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen tun könnte. Er erkundigt sich, ob die Bartflechte durch ein geeigne tes anderes Material ersetzt werden kann, aber die Wissenschaftler erklären, dass nur die echte Bartflechte aus der Natur das richtige Baumaterial für die Nester der Eichhörnchen darstellt. Die Bartflechte wächst jedoch nicht mehr natürlich in den finnischen Wäldern. Sie müsste also künstlich dort verbreitet werden, damit die Eichhörnchen ihrer habhaft werden können.
Fährmann Jaakko Lankinen sagt sich, dass in Sibiri en Bartflechte in rauen Mengen wächst. Zwar nicht überall, aber zumindest in den Regionen, in denen noch keine Industrie die Natur zerstört hat. Er macht eine Erkundungsreise hinter den Ural und überzeugt sich mit eigenen Augen von der Sache. Bei dieser Gelegenheit schließt er mit den Bewohnern der örtlichen Sowchose Freundschaft und erzählt ihnen von seiner Idee, Bart flechte in ganzen Ballen aufzukaufen. Er verspricht, die Produkte in der gefragten westlichen Währung zu bezah len. In der Sowchose und auf den anderen benachbarten Staatsgütern sind im Winter Tausende von Landarbei tern abkömmlich und stünden fürs Flechtensammeln zur Verfügung. Die Sache ist jedoch komplizierter: Es müssen Methoden für die Arbeit entwickelt, ein langwie riger Papierkrieg um die erforderlichen Genehmigungen geführt und schließlich auch noch die Handelslizenz aus der Außenhandelsbehörde beschafft werden. Jaakko Lankinen kehrt nach Finnland zurück, um alles in die Wege zu leiten. Auch die Finanzierung des Projekts muss gesichert sein.
Lankinen macht sich an die Arbeit, verhandelt über die Finanzierung, beschafft die notwendigen Genehmi gungen, knüpft Kontakte.
Schließlich läuft das Projekt an. In Sibirien fängt man an, Bartflechte zu sammeln, tausende Männer und Frauen klettern auf die Bäume. Sogar aus Afghanistan werden Kriegsveteranen, die nach dem Krieg arbeitslos gewordenen sind, herangeholt, und auch sie bekommen die Gelegenheit, Flechten zu zupfen. Von fröhlichem Schwatzen begleitet, wachsen die Flechtenhaufen in den Wäldern. Die Ausbeute wird zunächst in großen Gestel len gelagert, von dort schließlich in die Scheunen der Sowchosen gebracht, wo die Stücke zu Ballen ver schnürt werden. Die Ballen werden dann in ein Zwi schenlager an der transsibirischen Eisenbahn transpor tiert. Nach der Kontrolle werden sie in Eisenbahnwag gons verladen und zur Grenzstation Vaalimaa gefahren, wo Lankinen die Waggons gemeinsam mit finnischen Bahnbeamten entgegennimmt. Nachdem er die Zollge bühren bezahlt hat, lädt er die Ballen an einem geeigne ten Ort in Finnland aus, wo sie wieder zwischengelagert werden.
Von den Luftstreitkräften mietet Lankinen einen mit telschweren Helikopter, an dem eine Vorrichtung zum Aufreißen und Ausschütten der Ballen montiert ist. Sie wurde in Zusammenarbeit mit dem staatlichen techni schen Forschungszentrum entwickelt. Mit dem Heliko pter wird dann die sibirische Bartflechte in ganz Süd finnland und in Salla verteilt – überall dort, wo nach Erkenntnissen der Forscher besonders viele
Weitere Kostenlose Bücher