Der wundersame Fall des Uhrwerkmanns: Roman (German Edition)
ein Einsiedler, der alle vom Grundstück verbannte. In dem Versuch, sich sein Verhalten zu erklären, kamen die Einheimischen auf den Gedanken, er hätte einen sagenhaften Edelstein mit nach Hause gebracht und nun Angst davor, irgendjemanden in dessen Nähe zu lassen. Natürlich ist das vollkommener Blödsinn. Es gibt keinen solchen Diamanten, davon bin ich überzeugt.«
»Wie erklären Sie dann seine Handlungen?«
»Ich fürchte, es ist alles ziemlich banal. Die jährliche Mehlspende lockte scharenweise Bettler in die Gegend, weshalb er sie einstellen ließ. Und dass er jedermann vom Grundstück fernhielt, ist nicht ganz richtig, denn eine Gruppe von Bauarbeitern ging darauf ein und aus. In Wirklichkeit fiel das alte Gemäuer allmählich in sich zusammen, deshalb ließ er es abreißen und ersetzte es durch dieses Gebäude. Niemanden auf das Anwesen zu lassen, war lediglich eine Vorsichtsmaßnahme, solange die Arbeiten im Gange waren.«
»Ah. Ich verstehe. Wie Sie schon sagten, äußerst banal.«
»Aber indem er die Spende einstellte«, merkte Swinburne an, »hat er den Fluch der Hexe erweckt.«
»Ja, der alte Narr!«
Nach dem Essen verbrachten sie den Rest des Abends im Hauptsalon, wo sie rauchten, tranken und Pläne schmiedeten. Es wurde entschieden, dass Burton von Mitternacht bis drei Uhr morgens Rundgänge durch das Haus unternehmen würde. Danach sollte ihn Swinburne bis zum Morgengrauen ablösen.
Gegen zehn Uhr abends nickte Sir Alfred ein, der ohne Unterlass getrunken hatte. »Ich habe seit Tagen nicht mehr geschlafen«, lallte er. »Vielleicht gewährt mir der grausige Spuk heute Nacht ein wenig Ruhe!«
Er entschuldigte sich und wankte ins Bett davon.
Um elf geleitete Bogle die beiden Gäste nach oben zu ihren Zimmern, die einander in einem schmalen Gang gegenüberlagen. Der Agent des Königs und sein Assistent gingen in Burtons Zimmer. Der königliche Agent legte das Tichborne-Gedicht auf einen Tisch, holte aus der Tasche ein Augenglas hervor, wie es Schmuckhändler benutzten, und spähte durch die Linse auf das Pergament.
»Wie ich vermutet habe.«
»Es ist nicht echt, oder?«
»Jedenfalls wurde es eindeutig nicht durch sämtliche Generationen der Tichbornes weitergereicht, Algy. Bestimmt ist dir aufgefallen, dass der Sprachgebrauch überhaupt nicht der Zeit vordiesem Jahrhundert entspricht. Ich kann bestätigen, dass auch Papier und Tinte nicht annähernd so alt sind, wie Sir Alfred glaubt. Tatsächlich würde ich sogar Geld darauf verwetten, dass dieses Gedicht von seinem Großvater, Sir Henry, geschrieben wurde.«
»Man hätte ihn dafür auspeitschen sollen!«, befand Swinburne. »Derart schlechte Verse sind ein grausames Verbrechen.«
»Dem kann ich nicht widersprechen.« Burton legte das Pergament beiseite und sah seinen Assistenten an. »Sir Alfred glaubt, dieses Gedicht handle von Lady Mabella, aber für dich und mich ist offensichtlich, dass es in Wirklichkeit um den südamerikanischen Diamanten geht. Ganz gleich, wie lauthals unser Gastgeber seine Existenz leugnet, das Nāga-Auge ist real. Ich vermute, als sein Großvater die Spende eingestellt und das Anwesen von der Außenwelt abgeriegelt hat, war der Grund nicht nur die Errichtung dieses Hauses – sondern der Bau eines Verstecks.«
Er hob das Pergament an.
»Und das hier ist eine Schatzkarte!«
Der Anspruchsteller
Ich denke, mein armer lieber Roger bringt in seinem Kopf alles durcheinander, wie in einem Traum, und ich glaube, dass er mein Sohn ist, obwohl sich seine Aussagen von meinen unterscheiden.
VERWITWETE LADY HENRIETTE-FELICITÉ TICHBORNE
S ir Richard Francis Burton lief mit einer Aufziehlaterne in der Hand ruhig durch die Kammern und Gänge des Hauses der Tichbornes, lauschte aufmerksam auf jedes Geräusch und suchte mit den Augen jeden schattigen Winkel, jede Nische und jede Ritze ab. Nachdem er den Raucherraum überprüft hatte, betrat er einen Korridor und bewegte sich auf den Ballsaal zu.
Die Fakten des Falles gingen ihm durch den Kopf. Er dachte über Sir Alfreds Behauptung nach, das Klopfen im Haus seit »fast einem Monat« gehört zu haben. Das bedeutete, die Heimsuchung hatte kurz nach dem Verschwinden der Chorsteine von François Garnier aus Brundleweeds Tresor begonnen, und beide Ereignisse waren nur Tage vor dem Auftauchen des Tichborne-Anspruchstellers eingetreten.
Er sah auf seine Taschenuhr. Es war halb vier Uhr morgens.
»Zufall?«, murmelte er. »Würde mich wundern.«
Der Ballsaal war ein
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