Der Wunsch des Re
dir die Sprache verschlagen hat?«
Amunhotep hatte sich wieder einigermaßen gefasst. »Meritusir, ich dachte, die Göttinnen Hathor und Isis hätten sich zu einer Person vereint und wären in meinem Haus erschienen.« Er ging auf sie zu und nahm sie bei den Armen, um sie sich genauer zu betrachten. »Du bist wunderschön«, flüsterte er ihr ins Ohr, bevor er sie küsste.
»Müssten deine Gäste nicht langsam erscheinen?«, erkundigte sich Meritusir, nachdem er ihre Lippen wieder freigegeben hatte, und musterte nun ihrerseits Amunhotep.
Er hatte sich ebenfalls dem Anlass entsprechend gekleidet. Zwar trug er wie stets keine Perücke und war ungeschminkt, aber sein Hemd, der doppelte Schurz, sein Schmuck und der erregende Duft seines Körpers ließen die Priesterin dem Großen Gott Osiris danken, dass heute Abend nur verheiratete Frauen anwesend sein würden.
»Sie werden schon kommen. Außerdem sind meine Gäste auch deine«, schalt Amunhotep sie sanft. »Du bist die Herrin des Hauses, Meritusir, und meine Gemahlin. Schon vergessen?«
Sie schüttelte den Kopf.
Die Musiker in der Ecke der Halle sahen neugierig zu ihnen herüber und senkten den Blick, als sie sich ihnen zuwandte. Hekaib stand derweil mit gesenktem Blick unweit des Paares und wartete auf weitere Anweisungen seines Herrn, doch Amunhotep hatte ihn völlig vergessen.
»Nein«, antwortete sie, »ich muss mich nur erst noch daran gewöhnen.«
Kurze Zeit später füllte sich die festlich geschmückte Haupthalle. Die gesamte obere Priesterschaft war anwesend und mit ihnen ihre Gemahlinnen. Einzig der Große Sehende kam allein. Er hatte seine Reise ohne seine Frau angetreten.
Als Ramose Meritusir entgegentrat, musterte er sie unverfroren und ausgiebig, sodass es schon beinahe peinlich war. Eine knappe Verneigung und die Worte des Dankes für die Einladung waren alles, was er zu ihr sagte. Dann wandte er sich von ihr ab, um sich zu Amunhotep zu gesellen und mit diesem und den anderen Priestern zu plaudern, zu speisen und Wein zu trinken. Meritusir schien er den Rest des Abends nicht mehr wahrzunehmen. Nur manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, spähte er unauffällig zu ihr hinüber.
Sie ist wunderschön, gestand er sich neidlos ein, und auf irgendeine Art so anders als die Frauen der anderen Priester. Ihr Auftreten ist so selbstbewusst, ihr Blick wachsam und klug. Sie muss ein weiteres Geheimnis hüten, nicht nur jenes, dass sie von den Göttern auserwählt wurde, dem Pharao zu dienen.
Meritusir hatte sich zu den Angetrauten der Propheten gesetzt und unterhielt sich mit ihnen. Es waren belanglose Unterhaltungen, die sie zum Teil ziemlich langweilten. Liebend gerne hätte sie sich zu den Männern gesellt, doch bezwang sie diesen Wunsch und warf nur ab und an Amunhotep einen verstohlenen Blick zu. Sie vermied es aber, zu ihm zu gehen, um nicht mit Ramose reden zu müssen, auch wenn sie bezweifelte, dass dem Großen Sehenden überhaupt an einem Gespräch mit ihr gelegen war.
* * *
Kurz bevor Ramose seine Reise nach Theben fortsetzte, traf er sich mit seinem Informanten, der ihm keine Neuigkeiten mitteilen konnte. Ramose befahl ihm, auch weiterhin Augen und Ohren offen zu halten und sich vor allem nicht auf die Schliche kommen zu lassen. Dann bestieg er seine Barke und gab das Signal zum Ablegen.
In Theben bezog der Große Sehende ein Gemach im Gästeflügel des Palastes, das ihm während seines Aufenthaltes zur Verfügung gestellt wurde, und am folgenden Tag ließ er sich in einer Sänfte in den Tempel des Amun-Re tragen, um sich mit Nesamun zu treffen. Dabei erzählte er dem Hohepriester ganz beiläufig von der Vermählung Amunhoteps mit der von den Göttern gesandten Frau.
»Mein Sohn hat geheiratet?« Nesamun konnte seine Überraschung kaum verbergen.
»Du wusstest es nicht?«, heuchelte Ramose Verblüffung, und verlegen lächelte Nesamun.
»Ehrlich gestanden, nein. Ist es Meritusir?«
Der erstaunte Gesichtsausdruck Ramoses verstärkte sich und war nun echt. »Wie kommst du auf sie?«
»Weil ich meinen Sohn kenne. Er hat bisher keinerlei Interesse für die aufgeputzten jungen Frauen gezeigt, die an Ramses’ Hof zu finden sind. Meritusir ist anders.«
Wie wahr!, dachte Ramose, sagte aber keinen Ton.
»Würde es dir etwas ausmachen, auf deiner Rückreise einen Brief an Amunhotep und seine Gemahlin mitzunehmen?«
»Ganz und gar nicht. Abydos liegt auf meinem Weg«, erwiderte Ramose und lenkte das Gespräch in eine andere
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