Der Wunsch des Re
auf deine Frage haben willst, wende dich an den Pharao.« Amunhoteps Stimme war kühl und distanziert geworden.
Was sollte das? Hatte Ramose tatsächlich geglaubt, er würde ihm etwas darüber erzählen? Dann hätte Ramses auch gleich die gesamte oberste Priesterschaft der Beiden Länder an der Planung seines Heiligtums mitwirken lassen oder per Dekret ganz Kemi über sein Vorhaben unterrichten können.
Amunhoteps Laune verschlechterte sich.
Es war natürlich auch Ramses von Beginn an klar gewesen, dass man dieses Vorhaben nicht für immer geheim halten könne. Die Anwesenheit von Getreuen war normalerweise beim Bau eines Tempels nicht üblich, und auch die westthebanischen Grabarbeiter sorgten für einiges Aufsehen. Dem Pharao und ihm war bewusst gewesen, dass schon bald die Gerüchteküche zu brodeln beginnen würde. Amunhotep musste allerdings zugeben, dass es in diesem Fall ziemlich lange gedauert hatte, bis die Nachrichten und Spekulationen bis hinunter ins Delta gedrungen waren.
»Ich weiß, dass du mir nicht antworten darfst«, riss ihn Ramose aus seinen Gedanken, »und deshalb entschuldige bitte meine Neugier. Es gibt eben Dinge, die bleiben sogar einem Hohepriester verschlossen.« Ergeben neigte er den kahl rasierten Schädel. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Ich bin von der langen Fahrt müde und möchte mich gern zur Ruhe legen.«
»Aber natürlich.« Die beiden Männer erhoben sich. »Ich werde sofort einen Diener rufen, der dir und deinem Gefolge zeigen wird, wo ihr während eures Aufenthalts hier im Tempel wohnen werdet.«
Amunhotep begleitete Ramose durch den Garten zurück zur Pforte, die sein Anwesen mit dem Tempelbezirk verband. Als sie sich wieder im Wohnbereich der Priesterschaft befanden, befahl er einem vorübereilenden Wab-Priester, den Großen Sehenden in eines der Gästehäuser zu bringen und seine Dienerschaft in den Unterkünften der Tempeldiener unterzubringen.
Nachdem Ramose mit dem niederen Priester gegangen war, sah Amunhotep den beiden Männern noch einen kurzen Moment nachdenklich hinterher und kehrte anschließend in sein Arbeitszimmer im Tempel zurück, um sich weiter mit seiner Schriftrolle zu befassen.
* * *
Meritusir war nicht gerade begeistert, als ihr zuerst Hekaib und nun Amunhotep mitteilten, dass der Große Sehende anwesend sei und sie ihn als Herrin des Hauses zu begrüßen habe. Noch sehr genau konnte sie sich an ihn erinnern. Er hatte sie wütend angestarrt, als Ramses ihr erlaubt hatte, mit in das Labyrinth zu gehen. Ihr war es erschienen, als hätte Ramose sie am liebsten auf der Stelle getötet, nur weil sie etwas zu sehen bekommen sollte, was sie seiner Meinung nach nicht hätte sehen dürfen. Ramses hatte jedoch ihm und Nefertem, dem Hohepriester des Ptah, gedroht, schwere Strafen zu verhängen, sollte ihr etwas zustoßen.
Amunhotep entging ihr Unmut nicht. Er trat auf sie zu und nahm sie liebevoll in die Arme. »Du musst lernen, Leuten gegenüber nett und freundlich zu sein, selbst wenn du sie nicht leiden kannst. Nur so wirst du es am Hof des Pharaos zu etwas bringen.«
»Ich bin aber nicht am Hof des Pharaos«, erwiderte sie mürrisch. »Und außerdem habe ich alles erreicht, was ich wollte. Ich mache das, was ich gelernt habe, und ich habe einen Mann gefunden, den ich liebe und der mich ebenfalls liebt.«
Sie reckte ihm ihr Kinn entgegen, und Amunhotep nahm es in die Hand, um sie zu küssen. Sofort schmiegte sich Meritusir an seinen Körper und wäre jetzt viel lieber mit ihm ins Schlafgemach gegangen, als sich für das Abendmahl herauszuputzen. Es blieb ihr jedoch keine Wahl, und so begab sie sich seufzend in ihre Gemächer, wo ihre Dienerin bereits auf sie wartete.
Tia war eine leibeigene Nubierin von zweiundzwanzig Jahren, deren Vater sie als kleines Mädchen an den Tempel verkauft hatte, nachdem ihm seine Frau gestorben war. Er wusste, dass es seiner Tochter als Leibeigene im Tempel besser ergehen würde, als wenn sie als Freie ihr Leben bei ihm in bitterer Armut gefristet hätte.
Eigentlich hatte Meritusir keine persönliche Dienerin haben wollen. Sie hatte gemeint, sich bisher sehr gut allein gebadet und angekleidet zu haben, aber Amunhotep hatte darauf bestanden. Meritusir hatte schließlich nachgegeben, doch als Amunhotep auf den Einfall kam, ihr Rerut zur Seite zu stellen, war sie aufgebraust. Rerut war die Letzte, der Meritusir ihren Körper und ihre Gedanken anvertrauen würde, denn eine Leibdienerin war zugleich auch
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