Der Wunsch des Re
die Männer standen wie versteinert da. Alle starrten mit angehaltenem Atem verstört auf die am Boden liegenden Menschen, die zum Teil von den Steinen getroffen worden waren.
Der Zweite und der Dritte Prophet, die dank Meritusirs flinkem Eingreifen weitgehend unverletzt geblieben waren, hatten sich als Erste gefasst und kümmerten sich um Ramses und die Priesterin, während Nesamun ohne fremde Hilfe wieder mühselig auf die Beine kam. Obwohl er direkt unter dem Gerüst gestanden hatte, war er wie durch ein Wunder unverletzt geblieben.
Erleichtert sah er zum Himmel hoch und dankte seinem Schutzgott Amun. Dann glitt sein Blick besorgt zu Meritusir, die noch immer den Pharao unter sich begraben hatte. Ramses befreite sich bereits sacht unter ihr.
»Bist du verletzt, Majestät?«, schrien die beiden Propheten wie aus einem Mund.
Ramses winkte ab. Er hatte ein paar Abschürfungen am Oberschenkel und Ellenbogen erlitten, schien aber ansonsten ebenfalls glimpflich davongekommen zu sein.
Er sah zu der neben ihm am Boden liegenden Priesterin. »Geht es dir gut, Meritusir?«
Meritusir lag auf der Seite und hielt die Hände gegen ihren Bauch gepresst. »Mein Kind!«, wimmerte sie. »Mir schmerzt der Unterleib.«
Beruhigend strich Ramses ihr über die Wange.
In der Zwischenzeit waren die Priester und Soldaten aus ihrer Erstarrung erwacht und eilten herbei.
»Bringt die Frau ins Lebenshaus und kümmert euch um sie!«, befahl Ramses rau und stand auf. Er klopfte sich den Staub des Tempelhofes von seinem edlen Gewand und winkte den Oberst seiner Leibwache zu sich. »Lass den Vorhof räumen und die Tore schließen. Die Zeremonie ist beendet.« Dann trat er auf Nesamun zu, der neben Meritusir kniete, und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich schwöre dir beim Großen Gott Amun-Re, dass der Schuldige bestraft werden wird.«
Der Hohepriester seufzte nur, ohne den Blick von der Gemahlin seines Sohns zu wenden.
Ramses wandte sich ab und bemerkte Isis, die auf ihn zugeeilt kam.
»Bist du verletzt?« Der Blick der Großen Königlichen Gemahlin fiel auf seine abgeschürften Hautpartien am Bein und am Arm. Bestürzt sah sie ihm ins Gesicht.
»Das ist alles nicht so schlimm«, erwiderte Ramses und nahm sie in die Arme. Die Getreuen hatten inzwischen einen engen Kreis um ihn und seine Frau gebildet und ließen niemanden in ihre Nähe.
»Du musst sofort zu einem Arzt«, protestierte Isis, doch Ramses winkte ab.
»Nein. Ich muss sofort herausfinden, wer für dieses Attentat verantwortlich ist!«
* * *
Ramses zog sich nach dem Vorfall auf dem Tempelvorplatz in seinen Palast zurück und befahl die beiden obersten Propheten des Großen Gottes Amun zu sich.
»Wer hat den Auftrag für die Arbeiten am Heiligtum meines Großvaters befohlen?«, schrie er, und die Männer zogen erschrocken die Köpfe ein. »Hat es euch die Sprache verschlagen?«
Der Zweite Prophet des Gottes räusperte sich. »Majestät, du selbst hast mir den Befehl zukommen lassen, dass die beschädigten Stellen am Pylon umgehend ausgebessert werden sollen.«
»Ich habe was?« Ramses’ Stimme glich dem Brüllen eines gereizten Löwen. »Ich kann mich nicht entsinnen, jemals einen solchen Befehl erteilt zu haben. Warum auch! Der Pylon war in Ordnung!«
»Nein, Majestät«, wagte Amenophis, Nesamuns jüngerer Bruder, zu widersprechen. »Vor einigen Wochen stellte ich mit Bestürzung fest, dass in ungefähr sechs Ellen Höhe die Farbe abgeblättert war. Ich schickte daraufhin sofort eine Nachricht nach Per-Ramses und erhielt wenig später deinen Befehl, die betroffenen Stellen auszubessern.«
»Ich habe keine Nachricht von dir erhalten, Amenophis. Oder glaubst du, ich sei altersschwach und hätte vergessen, dass ich einen derartigen Auftrag befohlen habe?«
Verlegen schüttelte Amenophis den Kopf. »Das wollte ich damit nicht andeuten, Majestät.«
»Zudem«, tobte Ramses weiter, »wenn nur die Farbe abgeblättert war – warum stand dann ein Trog auf dem Gerüst, wie er sonst nur von den Verputzern und Maurern verwendet wird?«
Ratlos zuckte der Zweite Prophet mit den Schultern und sah Hilfe suchend zu seinem Bruder.
»Verzeih, Majestät«, ergriff Nesamun das Wort. »Es stimmt, was Amenophis dir sagt. Ich selbst habe mit eigenen Augen gesehen, dass eines Morgens die Malereien beschädigt waren. Ich befahl meinem Bruder, dir unverzüglich darüber eine Meldung zu machen und dich zu fragen, ob wir mit den Ausbesserungsarbeiten warten sollen, bis
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