Der Wunsch des Re
hielt die drei Papyri fest an ihre Brust gedrückt und blitzte den Schreiber aus ihren grünen Augen ärgerlich an.
Eigentlich war es eine bodenlose Frechheit, die sie sich gerade herausgenommen hatte. Ki stand als persönlicher Schreiber des Oberpriesters weit über ihr. Sie wollte jedoch nicht, dass er sah, womit sie sich beschäftigt hatte. Sie hoffte, dass Amunhotep das verstehen würde.
»Das wirst du noch bereuen!«, zischte Ki erzürnt und ließ sie stehen.
»Schon möglich«, murmelte sie vor sich hin und verschwand in Richtung des Wohngemachs.
Als sie in die Halle trat, gewahrte sie eine junge Frau, die ein kleines Äffchen auf dem Schoß hatte, dem sie eine Feige reichte. Der kleine Kerl griff nach der Frucht und wollte daran knabbern, als sein Blick auf Satra fiel und er laut zu schreien begann.
Überrascht sah sich die junge Frau um.
Sie war schätzungsweise Mitte zwanzig und sehr hübsch. Ihre gesamte Aufmachung ließ erkennen, dass sie sehr wohlhabend sein musste und aus gutem Hause stammte.
Satra verneigte sich.
»Wer bist du?«, fragte die Unbekannte.
»Die Dienerin des Oberpriesters«, antwortete Satra und verbeugte sich erneut.
»Ach ja«, entgegnete die junge Dame nachdenklich und musterte ihr Gegenüber ungeniert. »Stimmt! Meine Mutter schrieb mir bereits, dass mein geliebter Bruder eine weibliche Leibdienerin hat.« Sie lächelte Satra freundlich an. »Weißt du, wo er ist? Ich hatte meinen Besuch angekündigt, und er versprach, anwesend zu sein.«
Satra schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Herrin, aber mein Gebieter wird bei Seiner Majestät weilen. Mir ist leider nicht bekannt, wann er zurückerwartet wird.«
»Dann werde ich eben noch etwas auf ihn warten«, erwiderte Amunhoteps Schwester.
»Hast du noch einen Wunsch, Herrin?«
»Nein, du darfst dich entfernen. Ich rufe dich, falls ich noch etwas brauche.« Sie wandte sich wieder ihrem Äffchen zu.
Satra hingegen zog sich ins Vorzimmer zurück, um auf Amunhotep zu warten.
Als der Vorsteher der Osiris-Priesterschaft eine Stunde später erschien, war er bereits durch Ki über Satras ausfallende Worte unterrichtet worden. Missmutig sah er sie an, als sie aufstand, um ihn zu begrüßen.
»Verzeih mir, Herr, dass ich deinen Schreiber belügen musste, aber es war eine Notlüge, sonst hätte er mir sicher kein Schreibmaterial ausgehändigt«, versuchte sie ungefragt ihr Fehlverhalten zu erklären und lugte verstohlen in Amunhoteps Gesicht. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen war noch nicht richtig zu erkennen, also schien er auch noch nicht allzu wütend zu sein. Dennoch senkte sie reuevoll den Blick zu Boden, während sie die drei Papyri hinter ihrem Körper verbarg.
»Darüber sprechen wir später«, erwiderte Amunhotep. »Was hältst du da hinter deinem Rücken versteckt?«
Satra reichte ihm die Schriftrollen und begann von ihren Überlegungen zu erzählen. Anhand ihrer Skizzen zeigte sie Amunhotep, was sie sich ausgedacht hatte.
Amunhotep sagte kein Wort, und nachdem sie geendet hatte, rollte er die Zeichnungen zusammen und drohte, sie beim nächsten Mal fürs Lügen mit fünfundzwanzig Stockhieben bestrafen zu lassen.
Satra gelobte Besserung und bekam für den Rest des Abends frei. Zuvor brachte sie Wein, Gebäck und Obst in die Halle, wo sich Bruder und Schwester freudig in den Armen lagen und keine weitere Notiz von ihr nahmen.
Erst spät am Abend fand Amunhotep endlich die Zeit, die drei Papyri von Satra eingehend zu studieren und über das nachzudenken, was sie ihm dazu gesagt hatte. Ihre Entwürfe fanden sein Interesse, obwohl sie von seinen Vorstellungen abwichen. Zudem war auch die zeichnerische Umsetzung anders, als es den angehenden Schreibern in den Lebenshäusern gelehrt wurde. Trotzdem nötigten sie ihm seinen Respekt ab.
Nachdenklich strich er sich übers Kinn. War das der göttliche Befehl des Großen Gottes Re? Sollte Satra dem Pharao beim Bau seines Hauses für die Ewigkeit helfen?
Amunhotep wusste es nicht, und es erschien ihm absurd, aber schon morgen früh wollte er mit Ramses darüber reden und ihm Satras Skizzen zeigen.
SECHS
»Und das hat sich Satra ausgedacht?« Ungläubig schaute Ramses von den Rollen hoch, die vor ihm auf dem Arbeitstisch ausgebreitet lagen.
»Ja, Majestät. Gestern Abend kam sie zu mir und zeigte sie mir. Ich habe die halbe Nacht darüber verbracht und nachgedacht, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dieser Einfall vernünftig ist,
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