Der Wunsch des Re
einzuwenden hat«, beendete er seinen Satz, und sie riss begeistert die Arme in die Höhe und stieß einen Freudenschrei aus. »Ruhig, ruhig!«, ermahnte er sie. »Das ist eines der wichtigsten Dinge, die du zu lernen hast, wenn du ein Priesteramt bekleiden willst. Es ziemt sich nicht, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Du wirst lernen müssen, dich zu beherrschen und deine Gefühlsregungen unter Kontrolle zu halten. Das ist eine der bedeutsamsten Lektionen.«
»Das wird schwer werden, Herr, aber ich werde es nicht vergessen und verspreche, daran zu arbeiten.« Meritusir hatte ergeben den Kopf gesenkt, doch als sie ihn wieder hob, zuckte ein schelmisches Lächeln um ihre Mundwinkel. Zudem leuchteten ihre Augen so überglücklich und stolz, dass sich auf Amunhoteps Gesicht ebenfalls ein kleines Lächeln zeigte.
* * *
Meritusir ging an jenem Abend nicht zu Sethi, und der Prinz ließ sich auch nicht mehr auf dem Anwesen des Hohepriesters blicken. Für ihn stand fest, dass Amunhotep seiner Dienerin gar nicht erst gesagt hatte, dass er sie hatte sprechen wollen. Dennoch, so schwor Sethi sich an jenem Abend, wollte er nichts unversucht lassen, bis diese begehrenswerte Frau eines Tages ihm gehören würde.
ELF
Nachdem Amunhoteps Barke am Tempelanleger von Abydos festmacht hatte, begab sich der Hohepriester sofort auf die Baustelle, um sich mit eigenen Augen vom Fortschritt an Pharaos Heiligtum zu überzeugen.
Die Handwerker waren dabei, den Säulensaal zu errichten. Täglich legten riesige Lastkähne in Abydos an, um die großen Sandsteinteile zu liefern, aus denen die zweiundzwanzig bis einunddreißig Ellen hohen Pfeiler gebaut werden sollten. Insgesamt waren zwei mal zwei Reihen von jeweils fünf kleinen Säulen an beiden Außenseiten sowie vier Reihen von je vier großen Säulen im Mittelgang geplant, auf denen später das Dach des Heiligtums ruhen würde. Sie setzten sich aus riesigen runden Scheiben zusammen, deren unterste mit einem dicken Wulst als Basis begann. Den Abschluss bildete ein Kapitell, das bei den höheren Pfeilern einer geöffneten, bei den niedrigeren einer geschlossenen Papyrusblüte nachempfunden war
Zufrieden stellte er fest, dass es zu keinen Verzögerungen während seiner Abwesenheit gekommen war. Netnebu hatte seine Pflichten als Baumeister hervorragend erfüllt.
Am folgenden Tag rief er die oberste Priesterschaft zusammen und teilte ihr mit, dass es fortan ein neues Mitglied in der Gemeinschaft der Priester geben würde.
»Deine Dienerin?«, fragte Netnebu ziemlich überrascht und biss sich sofort auf die Zunge. Er wusste, was das Zeichen auf ihrem Arm zu bedeuten hatte. Dennoch hätte er nie im Leben damit gerechnet, dass sie als Wab-Priesterin im Tempel ihren Dienst versehen würde.
»Ja, genau sie«, entgegnete Amunhotep und sah prüfend in die Gesichter der anderen, die keinerlei Gefühlsregung zeigten. »Sie wurde von Ramses begnadigt und hört fortan auf den Namen Meritusir. Sie wird auch weiterhin in meinem Haushalt dienen, allerdings ab dem morgigen Tag im Haus des Lebens unterrichtet werden.«
Damit war alles gesagt. Amunhotep entließ die Männer.
»Netnebu«, rief er den neu ernannten Dritten Propheten zurück, der sich bereits erhoben hatte und mit den anderen Gottesdienern dem Ausgang zustrebte, »wie du bereits weißt, wirst ab sofort du die Pflichten von Paheri übernehmen. Ich kümmere mich derweil um meine Aufgaben und um die des hingerichteten Ipuwer. Ich möchte aber, dass du mir bei der Überwachung der Bautätigkeiten auch weiterhin hilfreich zur Seite stehst. Und wundere dich nicht, wenn du Meritusir fortan auf der Baustelle antreffen wirst.«
»Verfügt sie dahingehend über fachliche Kenntnisse?«, wagte Netnebu zu fragen.
»Allerdings. Zudem wird sie die Tempelschule besuchen, um ihr Wissen zu vervollständigen. Sie kann lesen und schreiben, das ist dir bekannt. Meritusir soll aber auch in Mathematik und Geometrie unterrichtet werden. Frage mich nicht, warum. Es ist der Wunsch des Pharaos.«
»Das hätte ich so oder so nicht getan«, erwiderte Netnebu. »Meritusir trägt ein heiliges Mal. Mir ist bekannt, dass sie damit von den Göttern auserwählt wurde, dem König zu dienen. Was genau das bedeutet, werde ich schon noch erfahren, sollte ich es wissen dürfen. Anderenfalls werde ich nicht versuchen, es herauszubekommen.«
Amunhotep schmunzelte verstohlen. »Etwas anderes hätte ich von dir auch nicht erwartet,
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