Der Wunsch des Re
ziemlich aufgeregt, obwohl ich das eigentlich nicht zu sein bräuchte.«
»Und warum nicht?«, fragte er, und Meritusir zuckte mit den Schultern.
»Weil ich neben dem Schreiben und Lesen auch rechnen kann. Zugegeben, von den Einheiten, die ihr in Kemi verwendet, habe ich bis auf die Elle und den Deben noch nichts gehört, aber auch das werde ich sicher schnell begreifen. Ich habe vielmehr Angst, dass ich mit meinem Wissen zu sehr auffallen könnte ... Zudem bin ich eine Frau. Die anderen werden sicher große Augen machen, wenn ich mich im Unterricht zu ihnen geselle.«
»Sie werden sich daran gewöhnen«, erwiderte Amunhotep gelassen und griff nach seiner Schreibbinse. »Es ist natürlich etwas ungewöhnlich«, gestand er ein. »Normalerweise werden Knaben und Männer in den Lebenshäusern unterrichtet.« Er blickte sie über seinem Papyrus hinweg an.
Meritusir lächelte wissend. Sie hatte gelesen, dass beinahe jedem städtischen Haupttempel eine Schule angegliedert war, in der begabte Jungen schreiben, lesen und rechnen lernten. Nach ihrer Ausbildung, die im Allgemeinen im Alter von fünf Jahren begann und zehn bis zwölf Jahre in Anspruch nahm, wurden die jungen Schreiber der örtlichen Verwaltung zugeteilt, suchten sich selbst eine Anstellung bei einem Händler oder Adligen oder begannen ihre Laufbahn in einem der vielen Heiligtümer des Landes. Dort wurden sie zunächst den Wab-Priestern zugeteilt, der größten Anzahl des Tempelpersonals neben der normalen Dienerschaft. Nun hatten wiederum die Begabtesten von ihnen die Möglichkeit, sich neben ihren normalen Aufgaben auf speziellen Gebieten weiterzubilden. Auch diese Ausbildung fand im Lebenshaus statt, einem Zentrum des Wissens und der Wissenschaft, in dem Medizin, Mathematik, Geometrie, Geografie, Traumdeutung und Theologie erforscht, gelehrt und praktiziert wurden. Das wichtigste Element stellte jedoch die Bibliothek mit seinem geheimen Wissen dar.
»Welche Fortschritte machen eigentlich Piay und Moses?«, fragte Amunhotep.
Verständnislos sah Meritusir ihn an. »Wovon sprichst du, Herr?«
»Von deinem Privatunterricht für die beiden Knaben.«
Sie seufzte verlegen, denn es war ihr nicht bewusst gewesen, dass Amunhotep darüber unterrichtet war. Schon seit einiger Zeit brachte sie in ihrer knapp bemessenen Freizeit den beiden Jungen die Grundlagen des Lesens, Schreibens und Rechnens bei.
Amunhotep schmunzelte verstohlen. »Ich bin über alles unterrichtet, was in dem mir vom Pharao anvertrauten Heiligtum geschieht.«
»Ja natürlich, Herr.« Meritusir räusperte sich. »Piay hat enorme Schwierigkeiten beim Lernen. Ich bezweifele, dass er jemals die heiligen Zeichen zu lesen versteht. Auch beim Umgang mit Zahlen tut er sich recht schwer. Moses hingegen ist ein kluger und aufgeweckter Junge, der das vermittelte Wissen begierig in sich aufnimmt. Er ist zwar jünger als Piay; dennoch übertreffen seine Leistungen die deines Badedieners.«
»Sollte ich Moses in die Tempelschule schicken?«
»Würdest du das denn tun?« Meritusir war sichtlich verblüfft.
»Allerdings. Moses ist ein freundlicher Junge. Aus ihm wird einmal ein redlicher Mann. Warum soll ich seine Begabung nicht fördern?«
»Dann lautet die Antwort Ja.« Meritusir strahlte übers ganze Gesicht. »Moses wird einen Luftsprung machen, wenn er es erfährt.«
»Er wird es erfahren, aber von mir.«
»Natürlich, Gebieter, ich hatte nicht vor, dem vorzugreifen.« Ergeben verneigte sie sich und wandte sich dem Modell zu, während sich Amunhotep auf seine Zeichnung konzentrierte.
* * *
Wie Meritusir befürchtet hatte, wurde sie am folgenden Tag von den fragenden Blicken der Wab-Priester empfangen, als sie den kleinen schattigen Hof betrat, in dem Mathematik unterrichtet werden sollte. Für die jungen Männer schien unbegreiflich zu sein, wieso eine Frau an ihrem Unterricht teilnehmen sollte, die zudem noch kurz zuvor ihr Leben in Leibeigenschaft gefristet hatte. Sie begafften Meritusir, als wäre sie ein Huhn mit zwei Köpfen, tuschelten und kicherten, doch sie biss die Zähne zusammen und ignorierte es.
Sie suchte sich etwas abseits ein Plätzchen und ließ sich mit schräg angewinkelten Beinen nieder. Die Position eines Schreibers einzunehmen, war in dem engen Kleid unmöglich. Innerlich haderte sie mit Amunhotep, der darauf bestanden hatte, dass sie sich fortan wie eine Frau zu kleiden habe. Einzig bei ihren gemeinsamen Besuchen auf den Baustellen des Tempels erlaubte er ihr,
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