Der Wunschtraummann
Wirklich, das ist so was von peinlich. Ich wollte natürlich, dass das erste Zusammentreffen zwischen meinem Opa und meinem neuen Freund anders laufen sollte als beim letzten Mal, aber da meinte ich den Verlauf des Abends und nicht meinen Freund. Dieses Riesenmissverständnis werde ich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit unverzüglich aufklären. Fergus ist bloß ein guter Freund, mehr nicht.
Und dann umarme ich meinen Opa noch mal und winke ihm zu. Je eher ich das richtigstelle, desto besser.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
»Ich muss dir etwas gestehen, ich habe mich Hals über Kopf in dich verliebt.«
»Wirklich?« Ich schaue Fergus tief in die Augen.
»Ja«, entgegnet er und sieht mich liebevoll an. »Vom ersten Augenblick an, als ich gerade am offenen Herzen operierte und du mir das Skalpell gereicht hast.«
»Doctor Lawrence …«, seufze ich schwärmerisch.
»Schwester Kathy …«, entgegnet er mit rauer Stimme.
Wir sind in Fergus’ Wohnung in Shepherd’s Bush und üben gemeinsam den Text für sein Vorsprechen am nächsten Tag. Er wohnt in einem winzigen Einzimmerapartment ganz oben unter dem Dach in einem viktorianischen Reihenstadthaus, mit Dachschrägen, unter denen er sich immer ducken muss, um sich nicht den Kopf zu stoßen, während er mit seinem Skript in der Hand auf und ab tigert.
»Sie heißt Schwester Kelly …«, korrigiere ich ihn.
»Herrje, du hast recht!«, schimpft er, fährt sich mit den Fingern über den Kopf und rauft sich die Haare. »Das bringe ich jedes Mal durcheinander.«
»Nicht schlimm, halb so wild«, versuche ich ihn zu beruhigen. »Kathy, Kelly, was macht das schon für einen Unterschied?«
»Vermutlich den Unterschied zwischen die Rolle bekommen und sie nicht bekommen«, entgegnet er bedrückt, und eine tiefe Sorgenfalte zerfurcht ihm die Stirn.
Entmutigt wirft er das Skript auf eine Teekiste und lässt sich auf die alte Samt-Chaiselongue fallen. Vergessen Sie modernen Minimalismus, in Fergus’ Wohnung sieht es aus wie in Aladins Schatzhöhle. Sie ist vollgestopft mit einer eklektischen Mischung aus antiken Landkarten, großen indischen Wandbehängen, Stapeln ledergebundener Folianten – dicke Schwarten mit goldgeprägten Buchstaben auf dem Buchrücken – und altmodischen Lampen mit Troddeln, die mit Seidentüchern drapiert sind, sodass sie ein weiches, stimmungsvolles Licht verbreiten.
Alles in dieser Wohnung, so erfahre ich, hat seine Geschichte, und keine davon hat mit einem Abstecher zu IKEA zu tun. Nein, die meisten Sachen hat Fergus entweder von seinen Reisen mitgebracht oder auf dem Sperrmüll entdeckt.
»Die Leute werfen so tolle Sachen weg. Die Chaiselongue habe ich in einem Müllcontainer gefunden«, hat er mir gleich beim Hereinkommen stolz erzählt. »Ich habe sie einem Freund von mir gezeigt, der in einem Antiquitätenladen arbeitet, und er meinte, sie stammt aus der Zeit der Jahrhundertwende, ist das zu fassen? Ich habe sie bloß neu beziehen lassen …« Dann deutet er auf die Lampen. »Die hat jemand zu den Recyclingtonnen gestellt. Dabei brauchten sie nur einen neuen Schirm, und schon waren sie wieder wie neu …« Fasziniert hatte ich ihm gelauscht. Für jemand wie mich mit einem ausgeprägten Faible für Secondhandläden ist diese Wohnung das Paradies. Denn all diese Sachen gab es nicht nur günstig, sondern ganz umsonst!
»Übrigens, danke, dass du meinen Opa hast gewinnen lassen«, sage ich und lächele dankbar. Dann lasse ich mich neben ihn auf die Chaiselongue fallen und versuche, ihn ein bisschen von seinem Bammel vor dem Vorsprechen abzulenken. »Wir machen uns alle ein bisschen Sorge um ihn. Wir fürchten, er könnte erste Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung zeigen.« Als ich mich das sagen höre, geht mir auf, dass ich das gerade zum ersten Mal laut ausgesprochen habe.
»Meine Oma hatte auch Alzheimer«, sagt er leise, »das kann ganz schön schlimm sein. Für die Betroffenen selbst und auch für ihre Familien.«
»Ich weiß«, entgegne ich, und alles in mir krampft sich zusammen beim Gedanken an meinen Opa. Ich mag gar nicht daran denken, wie es wohl mit ihm weitergeht. Ich habe solche Angst, ihn zu verlieren.
»Aber nur so nebenbei, das habe ich gar nicht«, fährt er fort.
Ich unterbreche meine Grübeleien und schaue verdattert auf.
»Ich habe ihn nicht gewinnen lassen«, erklärt Fergus lächelnd. »Er ist einfach ein überragender Spieler.«
Ich weiß, dass er flunkert. Einmal habe ich ihm über die Schulter geguckt
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