Der Wunschtraummann
gekümmert, solange ich zurückdenken kann: Er hat mich getröstet, mich bestärkt, mir das Gefühl von Sicherheit gegeben. Nun bin ich an der Reihe.
»Du wirst sie nicht vergessen«, sage ich entschieden. »Nicht in tausend Jahren. Wenn man jemanden liebt, dann erinnert das Herz sich an ihn. Auch wenn der Verstand sich nicht mehr erinnert, das Herz vergisst nie.«
Ich spüre förmlich, wie er Kraft aus meinen Worten schöpft. »Nicht in tausend Jahren«, wiederholt er entschlossen.
Die Sonne sinkt hinter einen Baum, und dann stehen wir im Schatten, und es wird merklich kälter. Unsere Gläser sind leer.
»Es wird kalt, lass uns zurückgehen«, sage ich.
»Ja, lass uns«, stimmt er nickend zu.
Und dann verstaue ich alles in meinem Rucksack, wir haken uns unter und gehen langsam zurück zum Auto.
Sechsunddreißigstes Kapitel
Ich stehe vor meiner Wohnungstür und krame nach dem Schlüssel. Fiona ist da, ich höre sie drinnen reden, vermutlich hat sie Besuch … Ich wühle in meiner Tasche. Moment mal, habe ich da etwa gerade ein Stöhnen gehört? Ich halte inne und lausche. Und ist das … Keuchen ?Endlich habe ich meinen Schlüssel gefunden und stecke ihn etwas beklommen ins Schloss. Na ja, es wäre nicht das erste Mal, dass ich hereinplatze und Augenzeuge von etwas werde, das ich lieber nicht gesehen hätte.
Mit einem lauten Knall lasse ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen und gehe in die Küche, wo Fiona am Tisch sitzt. Wie üblich hockt sie hinter ihrem Laptop, und nur ihr Kopf schaut hervor. Ich bin richtig erleichtert.
Ganz im Gegensatz zu Fiona.
Sie schaut auf, sieht mich und kreischt spitz auf. »Ach du lieber Himmel, du hast mich zu Tode erschreckt!« Hektisch greift sie zu ihrer Maus und klickt panisch darauf herum.
»Tut mir leid«, entschuldige ich mich rasch, »ich wollte dich nicht erschrecken.« Ich habe die Sonnenbrille abgenommen, und trotz des großzügig aufgetragenen Abdeckstifts sind meine Augen immer noch ganz verquollen vom vielen Weinen gestern Abend. Mein Opa wollte nur nett sein, als er mir sagte, ich sehe hübsch aus. In Wahrheit sehe ich zum Fürchten aus.
»Nein, nicht schlimm, ich hatte dich nur nicht so früh zurückerwartet …« Sie unterbricht sich, als hätte sie schon zu viel verraten.
»Ist noch jemand hier? Ich dachte, ich hätte dich eben reden gehört.«
»Ach, ehrlich?« Sie windet sich unbehaglich. »Nein, hier ist niemand, ich habe nur eben mit der Redakteurin meiner Kolumne geskypt.«
»Aber das ist doch eine Frau. Ich dachte, ich hätte eine Männerstimme gehört …«
Das schrille Läuten ihres BlackBerry unterbricht mich, und sie reißt es förmlich an sich. »Wir sind unterbrochen worden, ich rufe gleich zurück«, zischt sie in den Hörer. »Ich wollte sowieso gerade weg«, sagt sie laut und dreht sich zu mir um.
Misstrauisch schaue ich sie an. »Wo willst du denn hin?«
»Ach, ich wollte nur mit Tallulah unsere kleine abendliche Gassirunde um den Block drehen«, erwidert sie, weicht meinem Blick aus und klappt den Laptop zu.
»In Unterwäsche?«, frage ich fassungslos, als sie sich von ihrem Stuhl erhebt. Ohne Kleider.
Ganz oben auf ihren Wangen erscheinen zwei tiefrote Flecken. »Ach ja, natürlich, ich Dummchen, habe ich ganz vergessen … ähm … es war so heiß hier drin, dass ich mich ausziehen musste!«, ruft sie und fächelt sich demonstrativ Luft zu.
»Während des Gesprächs mit deiner Redakteurin?«, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Na ja … die sind ziemlich locker bei Saturday Speaks …« Sie kichert glockenhell, schnappt sich ihre Sachen, die neben dem Stuhl in einem unordentlichen Haufen auf dem Boden liegen, und schlüpft dann hastig in ihre wollene Strickstrumpfhose und das Pullikleid. »Also dann, bis später.« Und damit flitzt sie an mir vorbei in den Flur und reißt im Vorbeilaufen den Mantel vom Garderobenhaken.
»Hast du nicht eine Kleinigkeit vergessen?«
Die Klinke schon in der Hand dreht sie sich zu mir um.
»Tallulah?«, helfe ich ihr auf die Sprünge.
»Ach ja, natürlich«, plappert sie, rauscht wieder in die Küche und kommt mit Tallulah im Arm zurück. »Bye«, ruft sie. Und dann ist sie weg, und die Tür fällt hinter ihr ins Schloss.
Und ich schaue ihr nur verdutzt hinterher, während meine Gedanken sich überschlagen. Mit der Redakteurin geskypt? So heiß, dass sie sich ausziehen musste? Mit Tallulah Gassi gehen? Ja, klar. Für wie dumm hält die mich eigentlich? Ist doch wohl klar, dass sie
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