Der Wunschtraummann
auszuschalten, und beinahe Hemmingway House niedergebrannt.
»Miss Temple war so freundlich«, antwortet er ganz beiläufig.
»Miss Temple hat dir die Hemden gebügelt?« , wiederhole ich ungläubig. »Ganz bestimmt nicht Mel?«
»Nein, Miss Temple«, erklärt er beharrlich. »Sie ist in letzter Zeit sehr hilfsbereit – kaum wiederzuerkennen.«
Mir wird ein bisschen mulmig. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Miss Temple freiwillig Hemdenkragen stärkt. Er muss völlig verwirrt sein. »Geht es dir heute gut, Opa?«
»Betüddel mich nicht, es geht mir gut«, versichert er und tätschelt mir die Hand. »Ach, das hatte ich beinahe vergessen, sie hat mich gebeten, dir etwas auszurichten. Wie war das noch mal …?« Er tippt sich mit dem Finger an die Schläfe. »Ach ja, sie sagte, wenn du das nächste Mal kommst, sollst du unbedingt auf einen Sherry im Schwesternzimmer vorbeischauen. Irgendwas von Freunde und Familie besser kennenlernen.«
»Das sollst du mir ausrichten?«, frage ich ungläubig. Miss Temple hat nie ein gesteigertes Interesse daran gezeigt, mich besser kennenzulernen. Ganz im Gegenteil, meistens kann sie es gar nicht erwarten, mich wieder loszuwerden.
»Ja, dir und dem netten jungen Mann, den du neulich Abend dabeihattest.«
»Du meinst Fergus«, sage ich, und sein Name versetzt mir einen Stich. Seit unserem Streit gestern Abend habe ich nichts mehr von ihm gehört, und ich erwarte auch nicht, dass er sich bei mir meldet.
»Ich meine deinen neuen Freund«, entgegnet er und schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Ach herrje. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht.
»Ach ja, ich muss dir noch was sagen«, gestehe ich.
»Sachte, sachte, ich wollte dich nur ein bisschen aufziehen«, meint er augenzwinkernd und dreht sich dann wieder zu dem gewundenen Pfad um. »Du brauchst mir gar nichts zu erklären. Ich freue mich einfach, dass du jemanden gefunden hast.«
»Na ja, das ist es ja«, setze ich abermals an, »weißt du, es gab da ein kleines Missverständnis wegen Phyllis …«
»Hat sie ihre Nase wieder in Sachen gesteckt, die sie nichts angehen?«, fragt er stirnrunzelnd.
»Ach, sei doch nicht so gemein, Phyllis ist so eine süße alte Dame«, rüge ich ihn. »Und sie mag dich«, meine ich und stupse ihm neckisch in die Rippen.
»Sie mag jeden«, wiegelt er abfällig ab. »Am Wochenende ist sie in Billy Rothmans Zimmer erwischt worden.«
»Na und?«, frage ich herausfordernd.
»Na ja, die beiden haben jedenfalls kein Scrabble gespielt«, sagt er und schaut mich über den Rand seiner Brille bedeutungsvoll an.
»Nein!«, japse ich entgeistert. Und da habe ich mich doch tatsächlich von ihrem Teegebäck hinters Licht führen lassen, denke ich ganz schockiert. Und ich muss zugeben, auch etwas beeindruckt. Sie muss bestimmt achtzig sein, wenn nicht noch älter. Das nenne ich mal Frauenpower.
Wir gehen weiter, und unsere Schritte knirschen auf dem Kiesweg. Durch ein eisernes Tor gelangen wir zu einem kleinen Friedhof. Es ist schön hier. Oft sind Friedhöfe finster und bedrückend, voller Marmormausoleen und Plastikblumen, aber dieser hier ist baumbestanden und hat einen Blick auf den Fluss.
»Also, dann erzähl mir mal, was Phyllis nun schon wieder angestellt hat«, sagt er nach kurzem Schweigen. »Ich hoffe, sie hat keinen Unfrieden zwischen dir und deinem neuen Freund gestiftet.«
»Nein … nein, gar nicht.« Ich schüttele den Kopf und überlege, wie ich das mit mir und Fergus erklären soll.
Schonend kann ich es ihm nicht beibringen, ich muss einfach die Karten auf den Tisch legen.
»Weil ich dich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr so glücklich erlebt habe, Liebes«, fährt er fort, noch ehe ich etwas sagen kann, »und jeder in diesem Raum konnte sehen, was er für dich empfindet.«
Mir wird ganz eng um die Brust. »Tatsächlich?«
»Und dass es dir genauso geht.«
Was?
»Ich weiß, du dachtest, du könntest mir was vormachen«, gluckst er und hält meine Verwunderung wohl für ein Eingeständnis, »aber solche Gefühle kann man nicht verbergen. Und ich muss es wissen, denn ich habe für deine Nan genauso empfunden.«
»Ich weiß, aber …« Verdattert klappe ich den Mund auf und will schon alles abstreiten, ihm sagen, dass er sich irrt, dass er das alles falsch verstanden hat, aber ich will ihn nicht kränken oder enttäuschen, nicht ausgerechnet heute … Doch da ist noch irgendwas anderes, das mich davon abhält, die Sache richtigzustellen. Ich
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