Der Wunschtraummann
neben dem Waschbecken.«
»Toll«, sage ich lächelnd und schlüpfe an ihm vorbei ins Bad.
»Und hier ist noch eine Zahnbürste.« Womit er eine Schublade öffnet und mir eine dieser Reisezahnbürsten in die Hand drückt, wie man sie bei Transatlantikflügen immer gratis bekommt. Seb ist ständig auf Geschäftsreisen und hat ein paar Dutzend davon, ebenso wie Schlafmasken und diverse dieser super-luxuriösen Toilettenartikel, die man in der Business Class und in Fünf-Sterne-Hotels umsonst bekommt. Wobei ich das natürlich nicht aus eigener Erfahrung weiß – für meine »Geschäftsreisen« reicht die Oyster-Card für den Londoner Nahverkehr, was mich wieder an meine nicht vorhandene Karriere erinnert, also verscheuche ich rasch diesen Gedanken.
»Danke«, sage ich. »Bin gleich wieder da.«
Und dann scheuche ich ihn spielerisch aus dem Bad, schließe die Tür hinter ihm und lehne mich dagegen. Mir ist ein bisschen schummerig von dem ganzen Rotwein, und so bleibe ich einen Augenblick einfach stehen und lasse alles noch mal Revue passieren … den Film … den Rotwein … und dass ich jetzt hier stehe. Und gleich zum ersten Mal mit Seb schlafen werde. Noch mal.
Wie toll ist das denn bitte?
Wie ein Schauder steigt die Erregung in mir auf. Schnell wische ich den verschmierten Eyeliner weg und hole mein Lipgloss raus. Bisher war der Abend der Hammer, wie Seb sagen würde, und ich will, dass die Nacht einfach perfekt wird, fehlerfrei, olympiagoldreif. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Punktrichter mit ihren kleinen Kärtchen dastehen, doch statt einer perfekten Sechs bekomme ich lauter Nullen, weil meine Leistung einfach indiskutabel ist …
Moment mal, was soll das denn jetzt? Schnell vertreibe ich dieses Bild aus meinem Kopf. Das kommt sicher von der Aufregung. Der Sex mit Seb war immer toll. Zumindest dachte ich das immer. Wobei, seit unserer Trennung habe ich mich hundert Mal gefragt, ob ich nicht manches anders hätte machen können. Wie beispielsweise – was, wenn ich immer, wenn er mit mir schlafen wollte und ich sagte, ich sei müde und müsse früh zur Arbeit –, wenn ich da sofort darauf angesprungen wäre? Ihm wäre es bestimmt lieber gewesen, ich hätte zum Massageöl gegriffen statt ungerührt den Wecker zu stellen und zu den Ohrstöpseln zu greifen.
Oder was, wenn ich immer sexy Dessous getragen hätte, vielleicht sogar diese albernen kleinen Nippelhütchen, die er mir mal geschenkt hat? Statt sie als Scherz abzutun und mich beim Auspacken halb kaputt zu lachen. Und dann tatenlos zuzusehen, wie Flea sich über sie hermachte, weil das Katzenviech sie für glänzende schwarze Mäuschen hielt.
Oder das eine Mal, als Seb mir beim Vorspiel sagte, ich solle mich einfach fallen lassen, was ich dann auch tat, worauf ich prompt vom Bett plumpste. Was er rückblickend damit bestimmt nicht gemeint hat.
Und plötzlich bin ich wider Erwarten ein bisschen nervös. Vielleicht war das der Grund, weshalb er sich von mir getrennt hat, und er hat es mir bloß nicht gesagt. Vielleicht war ich ihm nicht sexy genug. Vielleicht habe ich ihn sexuell nicht befriedigt? Vielleicht – mein Magen krampft sich zu einem Knoten zusammen – war ich nicht gut im Bett . Schnell zwinge ich mich, diesen Gedanken wieder zu verwerfen. Nein, das ist Quatsch. Wir hatten viel Spaß im Bett. Zugegeben, es hat bei uns, wie bei den meisten Paaren, eine Weile gedauert, bis wir unseren Rhythmus gefunden haben, wir mussten ein bisschen herumexperimentieren und erst mal herausfinden, was der andere mag und was nicht, aber das ist doch ganz normal.
Nur diesmal gibt es kein nervöses Herumgefummel, sage ich mir streng. Wir werden gleich von Anfang an den unglaublichsten Sex haben, denn – das ist das Geniale daran, wieder mit Seb zusammen zu sein – ich weiß ja schon, was ihn anmacht. Ich kenne schon alle Tricks!
Rasch trage ich etwas Lipgloss auf und ziehe vor dem Spiegel eine Schnute. So weiß ich zum Beispiel, dass Seb total darauf steht, wenn ich … meine Gedanken schweifen ab, ich kann den Satz nicht zu Ende denken. Verwirrt runzele ich die Stirn. Das ist ja komisch, mein Hirn ist wie aus Watte. Muss an dem vielen Rotwein liegen, ich bin schon nach zwei Gläsern zu nichts mehr zu gebrauchen. Um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, schüttele ich mich kurz, dann tupfe ich mir die Lippen mit einem Stückchen Klopapier ab (er soll es schließlich nicht merken , dass ich noch ein bisschen Schminke aufgelegt habe) und überlege, was
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