Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
nicht.«
»Nein?«, hakt Rosemary ein und legt ihre Hand auf Lionels. Jeder andere hätte die Geste als Zuneigungsbeweis gewertet, für mich wirkt sie lediglich besitzergreifend. Keine Ahnung, wieso sie sich kein Schild mit den Worten »Hände weg, er gehört mir« um den Hals hängt.
»Nein, darum geht es überhaupt nicht«, wiederhole ich mit Nachdruck. »Worum es geht, ist -«, fange ich an, halte jedoch inne. Denn ich muss zugeben, dass ich auf einmal nicht mehr sicher bin, worum es eigentlich geht. Mir geht auf, dass keine Hoffnung mehr besteht, diesen Disput mit Rosemary zu gewinnen. Ich sehe in ihr triumphierend gerötetes Gesicht und kapituliere.
Zumindest für den Augenblick.
Nach dem Essen gehen wir nach draußen, trinken ein Glas Pimm’s im Garten und spielen eine Partie Schach. Lionel, der passionierter Spieler ist, hat ein riesiges Schachbrett im Garten aufgestellt, und während Rosemary hineingeht, um sich hinzulegen - »Diese Hitze ist so unglaublich ermüdend« -, tragen er und ich die gut einen Meter großen Styroporfiguren zu den einzelnen Feldern und versuchen, uns gegenseitig matt zu setzen. Als Vater und Tochter sind wir beste Freunde, als Schachgegner erbitterte Feinde.
»Schachmatt«, verkünde ich triumphierend und platziere meinen Läufer.
Lionel kaut verkniffen auf seinem Pfeifenstiel herum. »Papperlapapp!«
Ich kreuze die Arme und sehe zu, wie er mit nachdenklich gefurchter Stirn um die Figuren herumgeht.
»Also, gibst du dich geschlagen?«, foppe ich ihn.
»Niemals!«, poltert er, fährt sich mit den Fingern durch sein wirres Haar und nimmt seine Wanderung wieder auf. »Das kann nicht sein.«
»Doch, kann es.« Diese Szenario haben wir unzählige Male durchgespielt. Wann immer ich gegen meinen Vater gewinne, ist seine erste Reaktion Ungläubigkeit, gefolgt von Leugnen und schließlich den Worten »Gütiger Himmel, wie hast du das nur geschafft?«
Inzwischen ist er stehen geblieben und sieht mich mit in die Hüften gestemmten Händen fassungslos an.
»Du bist ein guter Lehrer«, erkläre ich wie üblich.
»Ahh, zu freundlich von dir«, murmelt er und tätschelt liebevoll meine Schulter. »Bis ich deine Mutter kennen gelernt habe, war ich ein entsetzlicher Spieler. Habe ich dir jemals von unserem ersten Spiel erzählt?«
»Ihr wart beide 18 und im ersten Jahr in Cambridge.« Ich kenne diese Geschichte auswendig.
»Genau«, sinniert Lionel nickend. »Ein Tutor hatte einen Schachwettbewerb mit einem der Mädchen-Colleges organisiert, und ich wäre um ein Haar nicht hingegangen, weil es mit einer Aufführung kollidierte, die ich mir ansehen wollte.«
»Die Herzogin von Malfi«, werfe ich ein.
»Genau.« Er ist entzückt, dass ich mich an den Namen des Stückes erinnere. »Aber in letzter Minute habe ich es mir anders überlegt und mich für das Turnier eingeschrieben. Es fand im Festsaal statt, und ich weiß noch, wie ich hereinkam und nach meiner Gegnerin Ausschau hielt. Und dann sah ich sie, wie sie in einem Sonnenstrahl stand und auf mich wartete …«
»Eine bezaubernde Rothaarige, die Schach spielte wie eine Russin.«
»Mit sechs Zügen hatte sie mich. Sechs Züge. Mehr war nicht nötig.« Lionel schüttelt den Kopf, als könnte er es noch immer nicht glauben, selbst nach all den Jahren nicht.
Wir verfallen in Schweigen, laben uns an der Erinnerung wie an süßem Wein.
»Sie fehlt mir immer noch«, sage ich schließlich.
»Ich weiß, Schatz.«
»Ich wünschte, sie könnte jetzt bei uns sein.«
»Oh, dann wäre ich aber Bigamist.«
Ich quittiere diesen Scherz mit einem sarkastischen
Lächeln. Ich weiß, dass er mich aufmuntern will, aber es schmerzt noch immer. »Ich wünschte, es wäre alles anders.«
Lionel pafft an seiner Pfeife und sieht mich mit seinen hellgrauen Augen an. Sie sehen genau aus wie meine eigenen, mandelförmig, mit winzigen dunkelblauen Flecken um die Iris. »Du solltest dir kein anderes Leben wünschen, Heather.«
Seine Miene ist ernst, was mich jedoch nicht davon abhält, zu witzeln. »Wieso nicht?«
Er lässt eine Rauchspirale aus seinem Mundwinkel entweichen. »Weil das Leben viel zu kurz ist, um auch nur einen Tropfen davon zu vergeuden. Das hat mir deine Mutter beigebracht.« Er hält inne, um einem Vogel zuzusehen, der am Springbrunnen sitzt und dessen winziger Körper in der Sonne schimmert, als er seinen Schnabel ins Wasser taucht. Einen Moment lang ist er tief in Gedanken versunken. »Irgendwo habe ich einen Spruch gelesen .
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